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abtraten. Im Übrigen folgte Einer dem Andern; am meisten Aufsehen erregend war der Austritt des Dominikanerpriors Jörg Hartman Rieher im September 1527, da zur Apostasie noch die Verheiratung mit der fast achzigjährigen Dame von Rosenberg kam; Erasmus spottete, daß die Braut die Schwester der Hekuba sein könnte. Aber noch andre Figuren fallen auf in der Gefolgschaft Ökolampads: der das letzte Asyl seines unruhvollen Lebens in Basel suchende Johann Denk, die Schwenkfeldianer Mathias Wickler, Fabian Eckel u. A. m. So gesteigert, so maßlos sind die Meinungen, daß es im Kreise Ökolampads Leute gibt, die den Luther schon zu den Papisten rechnen. Dabei zieht ein fremder Prediger laut zur Buße rufend durch die Gassen Basels. Erregt sind Alle, einer entscheidenden Stunde zueilend und ungeduldig nach dem Siege verlangend. Aber auf neue Weise.

Es ist nicht mehr die Zuhörerschaft des Einen oder des Andern, die einzelne Kirchgenossenschaft, die sich regt. Sondern die neugläubig gerichtete Gesamtheit. Der Verband aber, in dem dies geschieht, ist die Zunft.

In diese Form kann sich nun auch fügen die neben den kirchlichen Reformwillen tretende politische und soziale Opposition. Seit dem Beginne der Bewegung sind sie sich nahe gestanden; jetzt in der Gluthitze dieser letzten Zeit rinnen alle die Elemente zusammen.

Umsonst sucht der beunruhigte Rat, durch polizeiliche Maßregeln die vorhandene Aufregung zu dämmen und die Gelegenheiten zu Ausschreitung möglichst zu mindern. „Die Sitten sind schlecht; nie war größere Schwelgerei, nie mehr Betrug, nie größere Verachtung Gottes und der weltlichen Obrigkeit“. Daher der Rat ein großes Mandat erläßt wider Spielen Trinken Schwören Tanzen; den Totengräbern und Andern wird das bisher übliche Wirten auf dem Kohlenberge verboten, u. s. f. Aber eine Wirkung ist nicht wahrzunehmen.

Es handelt sich nur um die kirchliche Bewegung. Aber sie vollzieht sich im Ganzen eines allgemeinen Zustandes der Einwohnerschaft. Das starke Lautwerden des Volkes in diesen Jahren, seine Regsamkeit und sein energisches Bekennen sind nicht zu verstehen und zu würdigen ohne die Annahme eines verbreiteten Besitzes von Urteil und Kenntnis. Die vielen Feldzüge, der Reislauf, der Verkehr, die Dramen Gengenbachs und die fessellose Publizistik haben erzogen, erregt; in ihnen erscheint die Zeit selbst als die große Lehrmeisterin. Mächtig gefördert, zur Mündigkeit gebracht, steht jetzt, im bewegtesten Momente, dieses von Natur kritische und seit Jahrhunderten von allen Seiten her wachgehaltene Stadtvolk einer großen Aufgabe gegenüber.

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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1924, Seite 493. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_3.pdf/514&oldid=- (Version vom 1.8.2018)