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und zu Barfüßern Versammelten, dieser „große Haufe“, sich in der Tat als „die Gemeinde“ fühlen, als diejenige Macht, von der das kirchliche so gut wie das politische Leben der Stadt die Richtung zu erhalten hatte.

Wir täuschen uns nicht in der Bedeutung des Vorganges. Diejenige Kraft, die seit einem Jahrzehnt Basel immer mehr in ihren Bann gezwungen hatte, der auf Erneuerung des religiösen Lebens gerichtete Wille, war auch jetzt, da es das Ende galt, die bestimmende Kraft; sie kam aus Tiefen des menschlichen Wesens, in denen keine weltlichen Aspirationen und Notwendigkeiten wohnen; sie besaß die Macht, das Innerste eines Jeden mitsprechen und handeln zu lassen; sie hatte auch die Gewißheit ausdauernder und nachhaltiger Wirkung über alle konstitutionellen Wandlungen des Augenblickes hinaus.

Diese Kraft reformatorischer Bewegung war seit geraumer Zeit am Werk. Aber noch nicht am nahen Ziele. Noch immer bestand das Hindernis, das unzerbrechbar und unübersteigbar zu sein schien: die den Rat beherrschende Gruppe intelligenter und entschlossener Männer, die mit gesellschaftlicher Auszeichnung politische und gewerbliche Macht verbanden und die altkirchliche Sache vertretend die evangelische Partei niederhielten. Eine im kleinen Kreise sich immer neu konstituierende und gegenseitig garantierende Gewalt, nach der Meinung Ökolampads eine zur Tyrannei Weniger entartete Aristokratie. Ihre Entfernung und damit die Öffnung der Bahn für das Evangelium erschien als möglich nur auf dem Weg einer Änderung der Ratsverfassung.

Noch im Dezember, ja noch im Januar hatte die Volksbewegung keine politische Tendenz gezeigt; sie hatte der Einheitlichkeit der Predigt und der Beseitigung der Messe gegolten. Jetzt griff sie weiter aus, nahm sie mächtigeren Anlauf. Der Verdruß über das zugleich verächtlich hinhaltende und parteiische Benehmen des Rates gegenüber den Evangelischen ward zur Entrüstung über die Unbilligkeit dieses oligarchischen Regierens überhaupt.

Alte Querelen, oft wiederholte und nie erfüllte, wachten in der Bürgerschaft wieder auf. Man erinnerte sich an die Konspirationen und Oppositionen vor dreißig, vierzig Jahren; an die Entrechtung der Hohen Stube; an den Kampf wider die Großhändler; an die Enttäuschungen bei der Verfassungsrevision von 1521; an die skandalösen Vorfälle im Pensionenwesen; an die bei den Unruhen von 1525 lautgewordenen aber rasch erstickten Wünsche. Dies Alles konnte jetzt ergänzt nachgeholt und gutgemacht werden, wenn Jeder sich erhob und Alle sich zusammentaten, die Anlaß zu Klagen über jene „Tyrannen“ zu haben glaubten.

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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1924, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_3.pdf/531&oldid=- (Version vom 1.8.2018)