Seite:Wagner Das Judenthum in der Musik 1869.pdf/36

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

unmittelbaren Vorgänger, Beethoven, einigermaßen in Confusion gerathene Schönheitsgewebe glücklich wieder arrangirt zu haben. War Mendelssohn so auf den Thron erhoben, was namentlich auch dadurch mit Manier zu bewerkstelligen war, daß man ihm einige christliche Notabilitäten, wie Robert Schumann[WS 1] zur Seite stellte, so war nun auch manches Weitere im Reiche der modernen Musik noch glaublich zu machen. Vor Allem aber war jetzt der schon angedeutete Hauptzweck der ganzen ästhetischen Unternehmung erreicht: der Verfasser hatte sich durch sein geistreiches Libell in allgemeinen Respect gesetzt, und sich hierdurch eine Stellung gemacht, welche ihm Bedeutung gab, wenn er, als angestaunter Aesthetiker, nun im gelesensten politischen Blatte[WS 2] auch als Recensent auftrat, und jetzt mich und meine künstlerischen Leistungen für rein null und nichtig erklärte. Daß ihn hierin der große Beifall, den meine Werke beim Publicum fanden, gar nicht beirrte, mußte ihm nur einen um so größeren Nimbus geben, und nebenbei erreichte er (oder auch: man erreichte durch ihn), daß, wenigstens so weit als Zeitungen in der Welt gelesen werden, eben dieser Ton über mich zum Styl geworden ist, welchen überall anzutreffen Sie, verehrteste Frau, so sehr verwunderte. Von Nichts als meiner Verachtung aller großen Tonmeister, meiner Feindschaft gegen die Melodie, von meinem gräulichen Componiren, kurz von „Zukunftsmusik” war nur noch die Rede: von jenem Artikel über „das Judenthum in der Musik” tauchte aber nie wieder das Mindeste auf. Dieser wirkte dagegen, wie an allen so seltsamen und plötzlichen Bekehrungswerken zu ersehen ist, desto erfolgreicher im Geheimen: er ward das Medusenhaupt, das sofort Jedem vorgehalten wurde, in welchem sich eine unbedachte Regung für mich zeigte.

Wirklich nicht unbelehrend für die Culturgeschichte unsrer Tage dürfte es sein, diese sonderbaren Bekehrungswerke näher zu

Empfohlene Zitierweise:
Richard Wagner: Das Judenthum in der Musik (1869). J.J. Weber, Leipzig 1869, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wagner_Das_Judenthum_in_der_Musik_1869.pdf/36&oldid=- (Version vom 1.8.2018)

  1. Robert Schumann (1810–1856), Komponist und Schriftsteller. Gründer der Neuen Zeitschrift für Musik, in der Wagner 1850 die erste Fassung seines Pamphlets drucken ließ (unter der Redaktion von Franz Brendel). Schumann bewunderte und ehrte Mendelssohn sehr, wie seine Erinnerungen an Felix Mendelssohn-Bartholdy zeigen.
  2. die Neue Freie Presse