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oder den anderen hebt, bald ein Brot oder ein Apfel, eine Blume oder ein Würfel. – Der Zauberbrunnen: kopfschüttelnd steht ein Bauernknabe vor einem Ziehbrunnen. Ein Mädchen zieht und der unabgesetzte dicke Strahl aus Glas rinnt aus der Brunnenöffnung. – Die verzauberten Liebenden: Ein goldenes Gebüsch oder eine goldene Flamme tut in zwei Flügeln sich auf. Darin werden zwei Puppen sichtbar. Sie wenden die Köpfe einander zu und dann wieder ab, als sähen sie mit fassungslosem Staunen sich an. – Unter allen Figuren ein kleines Papier mit der Aufschrift. Das Ganze aus dem Jahre 1862.


POLIKLINIK

Der Autor legt den Gedanken auf den Marmortisch des Cafés. Lange Betrachtung: denn er benutzt die Zeit, da noch das Glas – die Linse, unter der er den Patienten vornimmt – nicht vor ihm steht. Dann packt er sein Besteck allmählich aus: Füllfederhalter, Bleistift und Pfeife. Die Menge der Gäste macht, amphitheatralisch angeordnet, sein klinisches Publikum. Kaffee, vorsorglich eingefüllt und ebenso genossen, setzt den Gedanken unter Chloroform. Worauf der sinnt, hat mit der Sache selbst nicht mehr zu tun, als der Traum des Narkotisierten mit dem chirurgischen Eingriff. In den behutsamen Lineamenten der Handschrift wird zugeschnitten, der Operateur verlagert im Innern Akzente, brennt die Wucherungen der Worte heraus und schiebt als silberne Rippe ein Fremdwort ein. Endlich näht ihm mit feinen Stichen Interpunktion das Ganze zusammen und er entlohnt den Kellner, seinen Assistenten, in bar.

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Walter Benjamin: Einbahnstrasse. Rowohlt, Berlin 1928, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Walter_Benjamin_Einbahnstrasse.pdf/60&oldid=- (Version vom 9.6.2018)