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Umlauf sind und die vier großen grauen Werte vom Mars und die zifferlosen Saturnmarken?

Länder und Meere sind auf Marken nur die Provinzen, Könige nur die Söldner der Ziffern, die nach Gefallen ihre Farbe über sie ausgießen. Briefmarkenalben sind magische Nachschlagewerke, die Zahlen der Monarchen und Paläste, der Tiere und Allegorien und Staaten sind in ihnen niedergelegt. Der Postverkehr beruht auf deren Harmonie wie auf den Harmonien der himmlischen Zahlen der Verkehr der Planeten beruht.

Alte Groschenmarken, die im Oval nur ein oder zwei große Ziffern zeigen. Sie sehen aus wie jene ersten Photos, aus denen in den schwarz lackierten Rahmen Verwandte, die wir niemals kannten, auf uns herabsehen: Verzifferte Großtanten oder Voreltern. Auch Thurn und Taxis hat die großen Ziffern auf den Marken; da sind sie wie verhexte Taxameternummern. Man würde sich nicht wundern, wenn eines Abends das Licht einer Kerze dahinter durchscheint. Dann aber gibt es kleine Marken ohne Zahnung, ohne Angabe einer Währung und eines Landes. Im dichten Spinnennetz tragen sie nur eine Nummer. Das sind vielleicht die wahren Schicksalslose.

Schriftzüge auf den türkischen Piastermarken sind wie die schräg gestellte, allzuflotte, allzublitzende Busennadel auf der Krawatte eines gerissenen, halb nur europäisierten Kaufmanns aus Konstantinopel. Sie sind vom Schlage der postalischen Parvenus, der großen, schlechtgezähnten, schreienden Formate von Nicaragua oder Kolumbien, die sich zu Banknoten herausstaffieren.

Empfohlene Zitierweise:
Walter Benjamin: Einbahnstrasse. Rowohlt, Berlin 1928, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Walter_Benjamin_Einbahnstrasse.pdf/66&oldid=- (Version vom 9.6.2018)