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der Röder auf der kalten Ruhe befand. Hier wuchs der giftige Wasserschierling in großer Menge (Cicuta virosa!) – Die Wurzel dieser Giftpflanze war von den Kindern für Pastinak gehalten worden, darum hatten nicht weniger als neun Schulknaben sie ahnungslos verzehrt. Fünf von ihnen starben kurze Zeit darauf unter den schrecklichsten Schmerzen. Infolge dieses Unfalles wurde das Todaustreiben als ein abergläubisches und unschickliches, ja gefährliches Possenspiel vom Magistrate und der Geistlichkeit der Stadt von nun an „für ewige Zeiten“ strengstens untersagt und zwar bei Androhung schwerer Strafe. –

Das Todaustreiben war ein uralter Überrest aus grauer Vorzeit und galt ursprünglich als das Frühlingsfest unserer heidnischen Vorfahren. Die riesige Strohpuppe sollte nicht etwa den Knochenmann Tod darstellen, sondern das Ende der ruhenden Natur, den glücklich überstandenen Winter. Bei dem Todaustreiben wollte das jubelnde Volk seiner Freude darüber Ausdruck verleihen, daß nunmehr der kalte Winter vorüber sei und der holde Frühling seinen Einzug halte. Bei Verbreitung der christlichen Religion wurde das altheidnische Frühlingsfest auf den Totensonntag, den Sonntag Lätare, verlegt.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Bernhard Störzner: Was die Heimat erzählt. Arwed Strauch, Leipzig 1904, Seite 030. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_die_Heimat_erz%C3%A4hlt_(St%C3%B6rzner)_030.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)