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40. Die Rockauer Linde.

Zwischen Loschwitz und Pillnitz liegt hoch oben auf den rechten Uferhöhen der Elbe das freundliche Dörfchen Rockau. Dicht oberhalb desselben steht eine ehrwürdige, mächtige Linde, durch deren Geäst der Sturm schon seit Jahrhunderten gebraust ist. Herrlich ist der Anblick der Landschaft, die ringsum ausgebreitet liegt. Wie ein Garten Gottes ruht das gesegnete Elbtal vor dem Auge des Beschauers. Die Elbe zieht sich wie ein breites Silberband durch diese liebliche Landschaft, belebt von allerlei Fahrzeugen. Nach Westen hin begrenzt den Horizont der Kamm des Erzgebirges, nach Süden zu die Sächsische Schweiz. Nördlich breitet sich das Häusermeer Dresdens aus. Gern läßt sich der Wanderer im Schatten dieser uralten Linde nieder und lauscht dem seltsamen Rauschen dieses Baumes. An Reiz gewinnt diese Stätte durch den duftenden Zauber einer lieblichen Sage, welche sich an den altersgrauen Lindenbaum knüpft und in einer Chronik berichtet wird. Diese Sage meldet folgendes:

Vor mehr als 400 Jahren lag in der Nähe der Rockauer Linde eine gar stattliche Burg, die Hilfenburg genannt, deren Ruinen heute noch im Helfenberger Grunde zu sehen sind. Diese Burg bewohnte damals die edle Burgfrau Frau von Rothfelsen, die von allen ihren Untertanen geliebt und verehret wurde. Einst erkrankte die Burgfrau und war dem Tode nahe. Das machte ihre Untertanen gar traurig, die deshalb für ihre Beschützerin täglich um baldige Genesung fleißig beteten. Der Herr erhörte auch deren Gebete, und die edle Burgfrau wurde zu aller Freude wieder gesund. Nach ihrer Genesung unternahm Frau von Rothfelsen eine Wallfahrt in die Kirche des nahen Dorfes Schönfeld, um dem Höchsten für die gnädige Hilfe Dankopfer darzubringen. Auf der Rückkehr nahm die Burgfrau ihren Weg über Rockau. Ihre Dienstmannen, die Landleute der Umgegend, streuten der Herrin Blumen auf den Weg zum Zeichen der Freude und der dankbaren Anerkennung. Da bemerkte die Burgfrau ein kleines Mädchen am Wege, das bitterlich weinte. Nun blieb Frau von Rothfelsen stehen und frug das Mädchen nach der Ursache seiner Traurigkeit. Schluchzend antwortete das Kind: „Ich wollte Euch, da Ihr so lieb und gut seid, auch Blumen streuen, aber ich fand keine und kann Euch nur ein Lindenbäumchen darbringen!“ — Die edle Burgfrau war von der Liebe und Einfalt des braven Kindes tief gerührt, nahm das Lindenbäumchen mit Freuden entgegen und befahl den Dienstmannen, dasselbe zu pflanzen und zwar an derselben Stätte, da sie das weinende Mägdlein angetroffen hatte. Das soll am 28. August 1488 geschehen sein. Das Lindenbäumchen entwickelte sich allmählich zu einem mächtigen Baume, der in Dresdens Umgebung unter dem Namen „die Rockauer Linde“ weithin bekannt ist. –

Zur Erinnerung an jenes Ereignis wurde am 28. August 1888 in Rockau das 400 jährige Jubiläum des altersgrauen Lindenbaumes gefeiert. „Ein Zug von Landleuten, zum Teil in altertümlichen Gewändern, zog mit Musik und unter zahlreicher Teilnahme der Bewohner aus der Umgegend hinauf zur Rockauer Linde. Ein Landmann aus Cunnersdorf hielt eine schlichte Ansprache und erzählte die Geschichte des alten Lindenbaumes, der schon manches Geschlecht hat kommen und gehen sehen, an dem auch die Kriegsstürme vorüberbrausten.“ Wie man erzählt, habe Napoleon I. im Jahre 1813 an dieser Stätte geweilt und die Bewegungen seiner Heeresmassen beobachtet.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Bernhard Störzner: Was die Heimat erzählt. Arwed Strauch, Leipzig 1904, Seite 089. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_die_Heimat_erz%C3%A4hlt_(St%C3%B6rzner)_089.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)