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110. Der Sibyllen- oder Hochstein.

Die höchste Erhebung des Höhenzuges, der sich zwischen Bischofswerda und Kamenz ausbreitet, nennt man den Sibyllen- oder Hochstein. Derselbe hat eine Höhe von 449 Meter und gewährt eine gar weitumfassende Aussicht. Das Auge überblickt von ihm aus die Gegend vom Erzgebirge bis zur Landeskrone bei Görlitz und bis zum Iser- und Riesengebirge, von Böhmen bis zum Spreewald. Die Zahl der Berge und Ortschaften beträgt Hunderte, welche das Auge vom Sibyllensteine aus erreicht. Es ist ein entzückendes Landschaftsbild.

Der Sibyllenstein ist ringsum bewaldet. Seine steilen Abhänge sind vom herrlichsten Nadelwalde bedeckt und mit Tausenden von größeren und kleineren Granitblöcken besäet. Auch seinen Rücken überzieht der Wald. Ihn umgibt tiefste Waldeinsamkeit. Zu ihm hinauf dringt auch nicht das geringste Geräusch aus den Dörfern da drunten.

An dem westlichen Fuße des Sibyllensteines liegt das idyllische Forsthaus „Luchsenburg“. Von hier aus ist der Kamm des Berges in 20 Minuten zu erreichen. Am südlichen Fuße entspringen die große Röder und die Schwarze Elster. An den östlichen Fluß schmiegt sich das Dörfchen Kindisch. Nach Norden hin reiht sich Berg an Berg. Der nächste Nachbar ist der Ohorner Steinberg.

Die Höhe des Sibyllensteines krönt ein haushoher Felsenaltar, der zugänglich ist und eine entzückende Fernsicht bietet. Das wundersame Felsgebilde erscheint wie die Ruine einer Burg der Riesen. Der Gipfel des Hochsteines bildet eine 14 Meter hohe und 50 Meter lange Schicht großer Granitblöcke. Deutlicher heben sich unter diesen wieder zwei Hauptkuppen hervor, eine südliche und eine nördliche. Die höchste von diesen ist die südliche Kuppe, die auf der obersten Steinplatte mehrere kesselartige Vertiefungen zeigt. Die nördliche Felskuppe nennt man den Tanzplatz. Diese enthält auf der Oberfläche eine flache kesselartige Vertiefung von fast 2 Meter Durchmesser. Einen unterhalb der nördlichen Kuppe liegenden Felsblock bezeichnet der Volksmund als das Reitpferd.

Zwischen den erwähnten Kuppen befindet sich eine höhlenartige Kluft. Dieselbe wird die Sibyllenhöhle genannt. –

Archäologen bezeichnen diese Felsenhöhe des Sibyllensteines als einen altheidnischen Opferplatz aus der germanischen Urzeit. Die an den Felsen wahrzunehmenden Vertiefungen gelten als die Opfer- und Blutschüsseln, die schmalen, fingerbreiten Rinnen am Rande derselben als die

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Friedrich Bernhard Störzner: Was die Heimat erzählt. Arwed Strauch, Leipzig 1904, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_die_Heimat_erz%C3%A4hlt_(St%C3%B6rzner)_238.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)