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an die Dächer der Häuser überschwemmt. Am traurigsten sah es aber in dem Städtchen Wehlen aus. Hier dauerte das Wachsen des Wasserstandes gegen 60 Stunden an. Nur noch drei Häuser waren von der Hochflut verschontgeblieben, außerdem noch das Schulgebäude und die alte Burg droben auf dem Berge. Selbst ein Teil des hochgelegenen Gottesackers war mit Wasser bedeckt. Viele von denen, welche die tiefgelegenen Häuser bewohnten, mußten sich bis in die Bodenräume flüchten, oder sie waren genötigt, die Häuser ganz zu verlassen. 84 Familien mußten auch die Oberstuben verlassen und unter das Dach sich retten. Die ganze Stadt war gefährdet, da der reißende Elbstrom mit aller Gewalt auf Wehlen sich ergoß. Mit großer Kühnheit wurde den Bedrohten Hilfe gebracht. Man fuhr in finsterer Nacht, das Schiff an einem Tau befestigt, mitten durch den wütenden Strom bis zur Mühle hinüber, um die in der Oberstube bereits auf den Tischen stehenden Bewohner abzuholen. Natürlich waren die vom Wasser nicht berührten Häuser mit Menschen, Vieh und allerlei Geräten überfüllt. So hielten sich z. B. in dem auf der alten Burg Wehlen erbauten Häuschen nicht weniger als 53 Menschen auf. Eine Hauptursache des großen Schadens, den das Wasser in Wehlen anrichtete, waren die vor den gegenüberliegenden „Gansbrüchen“ aufgehäuften Schuttmassen, die den Strom und tausende von Holzstämmen derart auf das Städtchen lenkten, daß fast sämtliche Hintergebäude der am Wasser liegenden Häuser und außerdem noch zwei andere Gebäude vollständig zerstört wurden. Von einem höhergelegenen Orte aus sah man ein Haus aus Halbestadt bei Königstein in aufrechter Stellung vorübertreiben. Der Besitzer dieses Hauses fuhr seiner schwimmenden Wohnung auf einem Kahne nach, um wenigstens die Betten aus dem Hause, in das er vom Kahne aus stieg, zu retten. Es war dies ein kühnes Unternehmen, doch es glückte. Der Mann bekam seine Betten wieder. Das schwimmende Haus schob in einem unterhalb Wehlens gelegenen Dorfe einen Holzschuppen weg und nahm dessen Stelle ein. Die im oberen Teile dieses Hauses sich befindlichen Gerätschaften waren unverletzt und trocken geblieben.

Die nördlich von Wehlen gelegenen Dörfer Zeichen, Vogelsang und Posta hatten ebenfalls viel zu leiden. In Pirna war der größte Teil der Häuser unter Wasser gesetzt. Die Lange Gasse und die Dohnaische Gasse waren zu reißenden Kanälen geworden. Frei vom Wasser blieben in der Stadt nur ein kleiner Teil des Obermarktes, das Kirchgäßchen, die obere Burgstraße, die obere Tuchmachergasse und die Schloßgasse. Der Sonnenstein, von dem aus man sonst einen so lieblichen Blick in das schöne Elbtal genießt, bot in diesen Tagen einen Fernblick auf eine unabsehbare Wasserfläche, aus welcher Dächer und Giebel der umfluteten Dörfer trostlos emporragten. Von hier oben aus hatte man auch den besten Ueberblick über das, was die Wogen an Häusern, Holz und Geräten vorüberführten. Da sah man auch eine Hundehütte. Auf ihr saß der angekettete Hund und heulte laut. –

Unterhalb Pirnas, wo das Elbtal bedeutend sich erweitert, bildete die Flut eine stundenbreite Wasserfläche. Viele Dörfer, die sonst weit von den Ufern des Elbstromes liegen, waren unter Wasser gesetzt. Nördlich von Dresden dehnte sich die Wasserfläche wiederum bedeutend in die Breite aus. Die Eisenbahnlinie Dresden–Leipzig stand vollständig unter Wasser, so daß die von Leipzig kommenden Eisenbahnzüge zur Umkehr genötigt waren. In Meißen vermochten die Oeffnungen der Brücke die wogende Flut nicht mehr zu fassen und deshalb wurde das Wasser als reißender Strom in die

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Friedrich Bernhard Störzner: Was die Heimat erzählt. Arwed Strauch, Leipzig 1904, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_die_Heimat_erz%C3%A4hlt_(St%C3%B6rzner)_336.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)