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Franz Werfel: Wir sind. Neue Gedichte.

Widmung

Du Tausendfache; die du bist und nicht.
Du Taggestalt, du letztes Nachtgesicht.
Du, die ich oft in vielen Frauen weiß
Und die erkannt, flieht den Erscheinungskreis.

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Die in so mancher schweren Herbergsnacht

Das Haus, das selbst mich faßt, treu überdacht.
Die tags auf Straßen mir vorüberfliegt
Und nachts im Antlitz eines Krüppels liegt.
Die fern mir sitzt im goldnen Strandcafé

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Und die in Logen ich verschwinden seh.

Die mich auf manchem aufgelösten Ball
Bestürzt mit ihres Da-Seins Wasserfall.
Vom Tag verbannt, im Traume doppelt nah,
Traumloser Nacht, im luftigen Mittag da.

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Die ich nicht fassen kann, weil du nicht bist.

Und die mich faßt, wenn dich mein Herz vergißt.
Du, mir Geschick zu schwerem Zweck bestimmt,
Daß ziellos mein Gefühl kein Ende nimmt.
So jauchz’ ich jetzt, weil sie dich nicht bezwingt,

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Daß durch das Ganze meine Liebe dringt.

So jauchz’ ich jetzt, daß, der dich doch nicht kennt,
Dich jeder Schmerz mit einem Namen nennt.
Daß diese Brust, bei jedem Schlag und Stich
– Die dich nie hielt – noch flüstert: ’s ist für dich!

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Daß du mich schufst zu allerletztem Sein,

Daß ich in grenzenlosen Nächten mich allein
Durch alle Betten dieser Erde wein’.

Empfohlene Zitierweise:
Franz Werfel: Wir sind. Neue Gedichte.. Kurt Wolff Verlag, Leipzig 1913, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Werfel_Wir_sind_1913.pdf/15&oldid=- (Version vom 1.8.2018)