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Franz Werfel: Wir sind. Neue Gedichte.

Die Unverlassene
(Der Besuch aus dem Elysium)

Es kommt die eine neue Nacht.
Du bist von Ferne aufgewacht
Und neben dir ist Schnarchen schwer.
Und ach vom Gitterbettchen her

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Ein Weinen klein und unbewußt.

Da schlägst du deine Decke um,
Nimmst ohne Glück und stumm
Das Kind an deine Brust.

Wenn mühsam Tag sich näher drängt

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Und dich in Erdenlos verfängt,

Wird Schoß und Lippe wissensschwer
Und kennt dein Fuß kein Schweben mehr,
Wächst dir ums Aug’ der dunkle Strich,
Gedenke und erinnere dich,

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Daß jener Bot’ aus besserer Welt

Dich seltsam in der Seele hält!

Weißt du, weißt du den Abendgang,
Wo noch dein Wesen glitt und sprang?
Wer fühlte einst im Elternhaus,

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Wer dich in Ewigkeit voraus?

Wenn du dich einsam meinst,
Wer kannte schon den Schmerzenston,
In wessen Kehle brannte schon
Das Weinen, das du jetzt weinst?!

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Franz Werfel: Wir sind. Neue Gedichte.. Kurt Wolff Verlag, Leipzig 1913, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Werfel_Wir_sind_1913.pdf/16&oldid=- (Version vom 1.8.2018)