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Franz Werfel: Wir sind. Neue Gedichte.

Ein Sonntags-Lied

Schon öffnet sich meine Chaussee,
Breitwallend fließt sie zum Flusse, –
Wo schwankende Landungsbrücken
Nach höflichen Dampfern spähn.

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Am andern Ufer die Villen

Erlöschen schon langsam. Der Himmel,
Der noch in den Ästen spielte,
Entschwebt zu höherem Ort.

Die lieben und wohlbestellten

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Vorgärten schmiegen sich aufwärts.

Die Häuser, wie trauliche Eltern,
Sind innerlich aufgewacht.

Die Menschen und lautlosen Wagen –
Dies alles so unschwer – ich glaube

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Wir sind schon Selige, wandelnd

Im unterirdischen Tag.

Wer weiß noch von Mühsal und Denken?
Wir tragen die heiteren Farben,
Die oben zerstreuten Gefühle

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Zerbrachen in ein Gefühl.


Ich kenne nicht mehr Dein Gesicht.
Dein Name ging lange verloren.
Doch kräuselt Dein schwebendes Wesen
Den Abend auf meinem Gefühl.

Empfohlene Zitierweise:
Franz Werfel: Wir sind. Neue Gedichte.. Kurt Wolff Verlag, Leipzig 1913, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Werfel_Wir_sind_1913.pdf/25&oldid=- (Version vom 1.8.2018)