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Franz Werfel: Wir sind. Neue Gedichte.

Der Feind

Mein Feind, dem ich entgegenspeie,
In meiner Brust versammelnd kleine Schreie
Und in den Händen ohne Mut,
Zerkrampfte Ohnmacht, halbverlöschte Wut.

5
Mein Feind, du trittst auf einen Pflasterstein!

Und da aus deinem Auge fällt der Abendschein,
Der niedertropft in bläulich süßen Flammen.
Und weinend, unter Schwalben, ungeheuer sinke ich zusammen.

In mir steht der Erzengel groß,

10
Versöhnung bricht unendlich los.

Daß wir uns schlugen und zerrissen,
Mit dumpfem Witz und List beschmissen,
Daß wir dies trugen, jetzt erst kann ichs fassen,
Dies Meucheln, dieses Auf-sich-tanzen-lassen.

15
Dies schlechte Leiden, alten Rache Trick,

Die Passion zu diesem Augenblick!

Nun braust der Himmel als Posaunenmeer,
Triumphtrompeten schnellen drunterher.
Aus mir stürzt Liebe, Lieb’, Weltsinn, der dunkel lag.

20
Und golden durch mich donnert jüngster Tag!
Empfohlene Zitierweise:
Franz Werfel: Wir sind. Neue Gedichte.. Kurt Wolff Verlag, Leipzig 1913, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Werfel_Wir_sind_1913.pdf/58&oldid=- (Version vom 1.8.2018)