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Gesichte auch kein Blutstropfen zu sehen war, und schwankte und zitterte heftig. Doch schien eigenes Leid ihn nicht zu überwältigen, sondern nur der Schmerz seines Herrn, denn er blickte ängstlich zu diesem empor, und flüsterte ihm tröstend zu: Fasset Euch, edler Herr! Um Gotteswillen!

Mehr konnte er nicht sprechen, denn die Stimme versagte ihm, und ein Strom von Thränen schoß plötzlich aus seinen Augen.

Gervin sah ihn verwundert an. Was fehlt Dir, Knabe? fragte er; Du zitterst und bist bleich? Und was sollen diese Thränen!

Der zarte Jüngling konnte vor Schluchzen nicht antworten, sondern wandte sich auf die Seite, um seinen Thränen freyen Lauf zu lassen. Da sagte Gervin mit sanfter, liebreicher Stimme zu ihm: Dir ist nicht wohl, Julius! Geh’ auf Dein Kämmerlein, bis heute Abend.

Der Knabe ging langsam in die Burg.

Eure Gebieter sind mir auf das herzlichste willkommen! sagte Gervin dann zu dem verwundert harrenden Ritter, und ließ, während dieser zu dem hinter einem Felsen zurückgebliebenen Zuge eilte, schnell die Zugbrücke niederschlagen und die Thore der Burg öffnen. Seine Züge belebten und erheiterten sich unterdeß sichtlich, seine Augen bekamen Feuer, selbst seine Wangen Röthe, ohne daß man gewahren konnte, ob er sich Gewalt anthun müsse. Und als nach wenigen Augenblicken der fremde Zug herankam und in den Burghof einritt, der Graf und die Gräfin an der Spitze, da konnte Gervin ihnen mit einem recht fröhlichen Gesichte entgegentreten.

Empfohlene Zitierweise:
H. Stahl alias Jodocus Temme: Westphälische Sagen und Geschichten. Büschler'sche Verlagsbuchhandlung, Elberfeld 1831, Seite 071. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lische_Sagen_und_Geschichten_071.png&oldid=- (Version vom 29.12.2019)