Seite:Westphälische Sagen und Geschichten 098.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

es wohnt Friede in meinem Herzen! O edler Herr, vergebt auch Ihr mir!

Da warf sich der Ritter, laut weinend, an seine Brust und breitete beide Arme um ihn und drückte ihn fest an sich, und rief schluchzend: O mein Freund, mein Freund!

Und jetzt drückte ihn auch der Mönch an seine Brust, und sprach mit einer stillen, aber hohen Freude: Der Herr ist gnädig, der Herr ist unendlich barmherzig!

Lange hielten die beyde Freunde sich stumm umarmt; dann erzählten sie sich ihre Schicksale.

Der Markgraf aber ritt nicht wieder zurück. Das Leben in seinem Schlosse war ihm eine entsetzliche Qual gewesen; hier an dieser Stelle, an der Seite des frommen Mönches war ihm zum ersten Male wieder wohl geworden, und nie wollte er von hier scheiden. Er übergab seine Regierung und seine Länder seinem Bruder, und behielt sich nur den Wald aus, in dem die Einsiedelei lag.

Still und fromm und gottesfürchtig lebten hier die beiden edlen Freunde. Nach Jahresfrist besuchte sie der Bischof von Regensburg, zu dem die Kunde ihrer Vereinigung gedrungen war. Sie baten ihn um die Erlaubniß, an der Stelle der Einsiedeley ein Kloster bauen zu dürfen. Gern gab er ihnen diese, und nach kurzer Zeit erhob sich in dem dichten Walde das Kloster Waldsassen, in dem die beyden ritterlichen Freunde als fromme, demüthige Mönche ihr Leben beschlossen.

Empfohlene Zitierweise:
H. Stahl alias Jodocus Temme: Westphälische Sagen und Geschichten. Büschler'sche Verlagsbuchhandlung, Elberfeld 1831, Seite 098. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lische_Sagen_und_Geschichten_098.png&oldid=- (Version vom 29.12.2019)