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Westphälisches Magazin zur Geographie, Historie und Statistik, Band 1, Heft 1–2

Bildung des Geistes scheint ihnen im Ganzen etwas sehr überflüssiges zu seyn. Schulanstalten halten sie größtentheils für eine Auflage, und haben die Vorstellung, als wenn ihre Kinder nur darum zur Schule gehen müßten, um den Schulmeister zu ernähren. Jedoch sind die Handwerker und Fabrikanten geneigter ihre Kinder bilden zu lassen, als die großen Bauern und Meyer.

Der Erziehungsfehler ihre Kinder durch Schreckmittel zu beruhigen, und im Zaum zu halten, ist bey ihnen gemein. Das Volk meiner Gegend insbesondere hält alle Kinderspiele für einen Beweis des moralischen Verderbens. Spiele die oben in Deutschland selbst noch Jünglinge spielen, wie Wettlaufen, Jägerspiel u. d. gl. sind hier contra decorum.

Provinzial-Tugend und Laster.

Wohlthätigkeit ist allerdings eine Provinzial-Tugend. Der Bettler findet allenthalben seine Herberge, und ihn gut behandeln ist Sitte. Selbst die sonst stolzesten Bauern halten es für Ehre, einen Armen zu pflegen, zu reinigen und oft die eckelhaftesten Arbeiten an ihm zu verrichten. Vor einigen Monaten wurde hier eine Frau begraben, die 25 Waisenkinder erzogen hatte. Wird ein Geringer krank, so wird er allgemein verpflegt. Man schickt ihm Speise aus den benachbarten Häusern, und macht sich ein Vergnügen draus, armen Kindern freye Kost zu geben.

Ehrlichkeit ist immer noch Provinzial-Tugend. Es ist hier unauslöschliche Schande ein Dieb zu seyn. Auch ist hier die Anzahl eingezogener Diebe ungleich kleiner, als in den südlichen Gegenden Teutschlands.

Provinziallaster ist allerdings Unmäßigkeit, besonders Trunkenheit. Jedoch hat sich nach dem siebenjärigen Kriege, der auf die Sittlichkeit dieser Gegend sehr viel Einfluß hatte, vieles verändert. In meinem Kreise, der nicht klein ist, sind mir nur 3 Säuffer bekannt. –

Bey dem landbauendem Volk ist ein unerträglicher Stolz gegen alle geringere. Sie fühlen zu sehr, daß sie den ersten Nahrungsstand haben. Die Meyer[1] haben wahren Ahnenstolz, verheyraten nicht gern ihre

  1. Meyer waren in ältern Zeiten Bediente des Regenten, die ihr Gut pro salario besaßen. Sie hielten im Lippischen einen Justitiarius, der [112] Frohne hieß. Ihrer waren im Amt Oerlinghausen, ehedem freyes Amt Barkhausen genannt, 4. zu Menkhausen 3. Sie hießen Amtsmeyer, und hatten ihre Beysitzer, die in der alten Sprache (Hipler) hießen, die aber jetzt auch den Namen Meyer usurpiret haben. Nächst dem Amtsmeyern, im Ravensbergischen Sattelmeyer genannt, und den Vollmeyern folgen die Halbmeyer, die 6 Pferde; dann die Großkötter die 4, 3, – 2 Pferde halten müssen; dann die Strassenkötter oder Brinksitzer die keine Pferde haben; hierauf die Kötter und Einlieger die zur Miethe wohnen.
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: Westphälisches Magazin zur Geographie, Historie und Statistik, Band 1, Heft 1–2. , 1784, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lisches_Magazin_Bd.1_H.1-2_111.gif&oldid=- (Version vom 1.8.2018)