an sich ganz berechtigten Hochachtung, welche der gebildete Deutsche vor dem Sachverständigen hat, läßt er sich beruhigen. Wenigstens vorläufig. Aber die Tatsachen lassen sich nicht ebenso leicht beruhigen. Wenn auch die Schädigungen, die unsere Kinder durch das gegenwärtige Schulwesen erfahren, ihnen nur selten unmittelbar an das Leben selbst zu gehen pflegen, so erschüttert doch von Zeit zu Zeit ein Schülerselbstmord in unheimlicher Weise das öffentliche Gewissen und läßt die Schulfrage nicht zur Ruhe kommen.
So ist es auch mit jener kaiserlichen Anregung gegangen. Scheinbar war hernach wieder alles in Ordnung, indem die Schule mit geringen Änderungen ebenso weiter geführt wurde, wie sie bis dahin gegangen war. Aber dennoch war etwas Grundlegendes geschehen. Der Nimbus der unfehlbaren Vortrefflichkeit schützte nicht mehr unser Schulwesen gegen jede Kritik. Es war nicht mehr eine Verfehlung an sich, wenn man die Beschaffenheit der Schuleinrichtungen ebenso aufzufassen unternahm, wie man jede andere menschliche Einrichtung auffaßt: daß sie nämlich sicherlich und unter allen Umständen unvollkommen ist, und daher verbessert werden kann und muß. Allerdings wird die gegenteilige Ansicht noch gelegentlich von einflußreicher Seite aufrecht zu halten versucht, und es sind erst wenige Monate her, daß im Landtage eines der größeren deutschen Staaten unter dem Beifall der Majorität des Hauses der Spruch ausgerufen wurde: Mit der Schule darf nicht experimentiert werden! Ja, wie soll man denn wissen, wie man es besser macht, wenn man nicht
Wilhelm Ostwald: Wider das Schulelend. Akademische Verlagsgesellschaft m.b.H., Leipzig 1909, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wider_das_Schulelend.pdf/15&oldid=- (Version vom 1.8.2018)