experimentiert? Solange man sich in den Wissenschaften an das „bewährte Alte“ hielt, so lange wucherte der unfruchtbarste Scholastizismus. Erst die Einführung des Experiments hat der Wissenschaft das Lebensblut zugeführt, und der wichtigsten aller Wissenschaften, weil von ihrer richtigen Ausübung die Zukunft unserer ganzen Kultur abhängt, der Erziehungswissenschaft soll diese Belebung vorenthalten werden? Weil sie bisher vorenthalten worden ist, darum hat sich die Not unseres Schulwesens so weit gesteigert, daß heute durch alle Schichten des deutschen Vaterlandes der Ruf tönt: so darf es nicht weiter gehen! Darum sind auch wir heute zusammengekommen, um Zeugnis dafür abzulegen, daß wir für das Schulwesen des deutschen Volkes eine grundsätzlich andere Gestaltung verlangen, daß wir aus dem Scholastizismus heraus wollen, der ein geschworener Feind ist der beiden großen Sonnen des Erziehungswesens der Zukunft, die da heißen: Wissenschaft und Liebe. Wissenschaft von den Kindern und Liebe zu ihnen.
Es gibt zwei deutsche Unterrichtseinrichtungen, welche ihren Weg um die ganze Welt gemacht haben oder machen werden. Sie beziehen sich auf das erste Stadium der Erziehung und das letzte: es sind Kindergarten und Universität. Daß der erste von der Liebe zum Kinde getragen ist und die zweite von der Wissenschaft, ist offenbar und braucht nicht dargelegt zu werden. Daß aber Wissenschaft, wirkliche Wissenschaft auch im Kindergarten ist, und daß gerade die Universitätseinrichtungen, auf denen ihre besondere und ausgezeichnete
Wilhelm Ostwald: Wider das Schulelend. Akademische Verlagsgesellschaft m.b.H., Leipzig 1909, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wider_das_Schulelend.pdf/16&oldid=- (Version vom 1.8.2018)