in den gesamten Kulturkreis unserer Zeit anstreben. Die Hindernisse, welche sie hierbei erfahren, rühren in erster Linie von ihren unmittelbaren Vorgesetzten her, die den bereits gekennzeichneten Abscheu vor dem Experimentieren haben. Diese Männer sind nämlich solche, welche ganz und gar unter dem Einflusse des humanistischen Anschauungskreises ausgebildet worden sind. Aus dem gleichen Kreise stammen in der starken Mehrzahl die Lehrer und insbesondere die Direktoren der mittleren Lehranstalten. In diesen Kreisen besteht im Gegensatz zu den Elementarlehrern die Überzeugung, daß die Schule sehr gut ist, wie sie ist, und daß an ihr nur wenig zu ändern und zu bessern wäre. Hier erkennen wir wieder an einem schlagenden Beispiele die kulturwidrige Wirkung der humanistischen Erziehung; sie steht im bestimmtesten und unzweideutigsten Gegensatze zu dem Grundgedanken der heutigen Theorie und Praxis, zum Entwicklungsgedanken. Schauen wir noch höher hinauf, in die Ministerien, so finden wir wieder viel mehr Bereitwilligkeit, den Forderungen der Zeit entgegenzukommen. Die Verwirklichung solcher Gedanken, selbst wenn sie sich in amtlichen Erlassen finden, wird aber so gut wie vollständig aufgehoben durch jene unbewegliche Zwischenschicht der humanistischen Oberlehrer und Direktoren, welche die Erhaltung des Vorhandenen als ihre allererste Aufgabe ansehen. Hier sind also die größten Widerstände zu überwinden und von hier aus werden, das müssen wir klar ins Auge fassen, die heftigsten Angriffe gegen unsere Bestrebungen erfolgen.
Wilhelm Ostwald: Wider das Schulelend. Akademische Verlagsgesellschaft m.b.H., Leipzig 1909, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wider_das_Schulelend.pdf/38&oldid=- (Version vom 1.8.2018)