so stellt er den Altphilologen vor, der durch seine sprachlichen Studien zu allen menschlichen Dingen unfähig gemacht worden ist. Faraday, einer der allergrößten Naturforscher und Entdecker, hat nur Englisch und ein wenig Französisch gekonnt. Nichts in der Welt berechtigt uns, auch nur annähernd eine Steigerung der geistigen Eigenschaften durch die Kenntnis fremder Sprachen zu behaupten, und dennoch überlasten wir mit einer öden und trostlosen Arbeit auf diesem Gebiete unsere Jugend und bezahlen mit der Gesundheit unseres Nachwuchses einen Aberglauben, der vor jeder ernsthaften Prüfung in Rauch zerstiebt.
Solch ein Zustand kann nur entstehen und sich halten, wenn eben von vornherein eine jede Kritik an dem Vorhandenen ausgeschlossen, ja zum Verbrechen gestempelt wird. Weil vor einem halben Jahrtausend die wissenschaftlichen Bücher lateinisch geschrieben waren, und die Kirche, welche die Schulen begründet hatte, ihre lateinische Gemeinsprache notwendig zur Grundlage ihres Unterrichtes machen mußte, deshalb sollen noch heute unsere Kinder Lateinisch lernen! Wenn man diese Tatsache nackt, wie sie ist, ausspricht, so klingt sie wie heller Wahnsinn. Aber sie besteht, sie besteht vermöge des Trägheitsgesetzes, sie besteht, weil das deutsche Volk sich bisher gescheut hat, mit dem Lichte des Lebens und der Wissenschaft in dieses Stück Mittelalter hineinzuleuchten.
Und von dem humanistischen Gymnasium ist derselbe Unsinn in die anderen Lehranstalten über gegangen. Das Realgymnasium verschwendet fast die gleiche Zeit auf das Latein, wie das humanistische,
Wilhelm Ostwald: Wider das Schulelend. Akademische Verlagsgesellschaft m.b.H., Leipzig 1909, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wider_das_Schulelend.pdf/42&oldid=- (Version vom 1.8.2018)