sechs beschränken. Zu welchen Schwierigkeiten, ja Unmöglichkeiten dieses überlange Festhalten der Jugend in der Schule bezüglich der Schulverwaltung selbst führt, wissen alle Lehrer. Welche schwere Belastung des nationalen geistigen Kapitals aber diese Schuleinrichtung bedeutet, eine Belastung, die nur eine Schädigung ohne den geringsten Nutzen bewirkt, das erkennt man erst, wenn man die Geschichte der großen Männer studiert. Diese sind nämlich in ganz überwiegender Mehrzahl frühreif gewesen. Liebig war mit 21 Jahren Professor. William Thomson, der spätere Lord Kelvin, mit 22. Ersterer wurde über 70, letzterer 80 Jahre alt[VL 1]. Wäre Liebig in unserer Zeit zur Welt gekommen, hätte er mit 21 Jahren kaum den Doktorgrad erwerben können und hätte noch vier Jahre warten müssen, um sich überhaupt habilitieren zu dürfen. Man darf getrost behaupten, daß unter den jetzigen Schuleinrichtungen Deutschlands auch nicht das allergrößte und frühreifste Genie dieses wieder erreichen würde. Und was entsteht etwa Gutes durch diese Entwicklungssperre? Mögen die darauf antworten, welche sie veranlaßt haben; ich weiß es nicht.
Und welche Wirkung hat die neunjährige Schulzeit mit dem nachfolgenden Abiturientenexamen auf die Schüler? Der gegen das fünfzehnte Jahr bei den Begabteren auftretende Drang nach selbständiger Betätigung, der bei sehr Begabten schon einige Jahre früher zu erscheinen pflegt, wird gewaltsam unterdrückt, denn die erste Aufgabe des Schülers ist ja, in allen Fächern gleichförmig das Klassenziel zu erreichen. Fragt man,
Anmerkungen der Vorlage
- ↑ Siehe W. Ostwald, Große Männer.
Wilhelm Ostwald: Wider das Schulelend. Akademische Verlagsgesellschaft m.b.H., Leipzig 1909, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wider_das_Schulelend.pdf/45&oldid=- (Version vom 1.8.2018)