heißen mögen, gehemmt. Ihr Dasein aber beweist, daß etwas derartiges möglich ist und gibt den Anknüpfungspunkt für die Ausgestaltung. Indem jeder Schüler sich der Führung eines selbstgewählten Lehrers in erster Linie anvertraut, gewinnt er die Möglichkeit einer pfleghaften Entwicklung seiner Persönlichkeit, und dem Lehrer erwächst die reinste Berufsfreude aus einem auf gegenseitiges Vertrauen begründeten Verhältnis. Und als Zielpunkt der Schulerziehung steht nicht der in allen Fächern gleichförmig ausgebildete Durchschnittsmensch da, sondern der in seinem eigenen Gebiete besonders Gutes leistende Einzelmensch. Als reif soll der angesehen werden, der in einem solchen Gebiete reif geworden ist, nicht der, welcher ohne Widerstand alles geschluckt hat, was ihm vorgesetzt worden ist.
Wir müssen mit einem Worte aus der bisher betriebenen Massen- oder Ramscharbeit der Erziehung zur Einzelarbeit übergehen. Gegenwärtig werden alle Schüler nicht nur einer Klasse, sondern im ganzen Deutschen Reich so behandelt, als wären sie von vornherein gleich in Anlagen und Leistungsfähigkeit, und als machten sie sich eines Vergehens schuldig, wenn sie nicht wenigstens eine solche Gleichheit anstreben. Wir haben ja in mancherlei Gebilden unseres hochgesteigerten Verkehrs mit großem Vorteil solche Gleichmachung eingeführt. Wir zahlen für lange und kurze Fahrten auf der Trambahn den gleichen Preis, wir lassen für denselben Betrag einen Brief innerhalb des Berliner Weichbildes und bis in die fernsten Ecken von Deutschland und Österreich befördern, und wir haben die Bazare,
Wilhelm Ostwald: Wider das Schulelend. Akademische Verlagsgesellschaft m.b.H., Leipzig 1909, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wider_das_Schulelend.pdf/50&oldid=- (Version vom 1.8.2018)