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Otto Vorländer: Ein Klostermuseum in der Heide (Wienhausen). In: Die Denkmalpflege. 4. Jg., S. 109–113

Werner und der Aebtissin Ebdesche (Domina Eveza) ihren feierlichen Einzug.[1] Im Jahre 1309 erhielt das der h. Jungfrau Maria und den hh. Laurentius und Alexander als Schutzpatronen geweihte Kloster an Zuweisungen das Dorf Oelerse, das Dorf Plockhorst und die Kirche in Bröckel (vergl. Mithoff, a. a. O. S. 274).

Einzelne Sagen über Wienhausen und sein Kloster, die sich noch ziemlich lange erhielten, können wir hier übergehen, ebenso die Mittheilungen über Verwaltung und Einrichtung des Klosters bis zur Reformation, die im Jahre 1469 von Herzog Otto dem Siegreichen vorgenommen wurde. Die damalige Aebtissin Katharina (aus dem Geschlechte der Grafen von Hoya) leistete mit ihren Jungfrauen entschiedenen Widerstand, wurde aber vom Herzoge abgesetzt und einstweilen nach Derneburg abgeführt. In dem Zeitraum von 1529–49 hat Herzog Ernst die Reformation in Ausführung der Scharnebecker Landtagsbeschlüsse eingeführt, zugleich aber den Propst mit allen Propsteibedienten des Dienstes entlassen und ihre Einkünfte bis auf die zur Unterhaltung der Kirchen und Kirchendiener ausgesetzte, zu den landesherrlichen Domänen gezogen.[2] Das Kloster wurde dann in ein weltliches Fräuleinstift verwandelt und besteht als solches noch jetzt. Das Verzeichniß der Pröpste zählt bis zum Jahre 1521 etwa 39 Namen auf, das der Aebtissinnen bis 1549 nur 21.[3] Nun zurück zu den Gebäuden selbst.

Man geht vom Dorfe her in der Regel über den schon erwähnten östlichen Vorhof ins Kloster (Abb. 6 u. 7). Er trägt den Namen Fabian, zur Erinnerung an eine Capelle, die hier von der Mitte des 14. Jahrhunderts bis zum Jahre 1531 gestanden hat und unter der Aebtissin Luitgard, um die Pest abzuwenden (Bettinghaus, a. a. O. S. 44 I. Th.), errichtet und den hh. Märtyrern Fabian und Sebastian gewidmet worden war. Jetzt grenzen an diesen Platz nördlich Wirthschaftsgebäude an, in denen hin und wieder auch Verwandte der Klosterdamen vorübergehend gastliche Aufnahme finden. Den unteren kreuzgangartigen Hallen der eigentlichen Klostergebäude entsprechen oben weißgetünchte Flure, deren Fenster den Ausblick in die inneren umbauten Höfe gestatten. In diese Fenster auf dem nördlichen Flure sind eine Reihe von Resten alter Glasmalereien eingelassen, die ehemals an verschiedenen anderen Stellen (theilweise vielleicht auch in dem später neu verglasten großen Westfenster) sich befanden und unter dem Beirath des kürzlich verstorbenen Geheimen Regierungsraths Professor C. W. Hase in Hannover von der zeitigen Aebtissin in sehr verständiger Weise zum Schmucke der sonst ziemlich kahlen Flure bestimmt wurden. Die figürlichen sowohl wie die ornamentalen Scheiben deuten auf die Zeit bald nach der Erbauung des Nonnenchors, d. h. auf den Anfang des 14. Jahrhunderts. Wir finden in den Köpfen und in der Faltengebung der Gewänder, wie besonders in dem Flächenornament einiger Graumalereien (s. Abb. 3) dieselbe strenge Linienführung wie bei den Wandmalereien in der Kirche, doch ist der frühgothische Charakter hier noch entschiedener ausgesprochen als dort. (Vergl. Abb. 2.) Am Eingange zur vorerwähnten Kirche erinnert ein an der Wand aufgerichtetes Flachbild (ohne eigentlichen Kunstwerth) an die Stifterin Pfalzgräfin Agnes.

Das Innere, eine einschiffige Klosterkirche, die sich westlich an die Gemeindekirche anschließt (Abb. 2), ist als eine hervorragende Sehenswürdigkeit und für Freunde mittelalterlicher Kunst als ein Studienfeld ersten Ranges zu bezeichnen und rechtfertigt allein schon die Ueberschrift, die wir unserer Abhandlung hier gegeben haben. Eine großartige Folge von Darstellungen aus dem alten und neuen Testament tritt in vorzüglicher Beleuchtung dem Beschauer entgegen. Die biblia pauperum liegt aufgeschlagen vor uns. Wir sehen alle freiliegenden Wandflächen, gleich von der Höhe des Gestühls an beginnend, sowie die Gewölbe überall bemalt (Abb. 2). Diese Malereien bieten das seltene Beispiel einer vollständigen „in allen Theilen“ einheitlichen Decoration frühgothischen Stils.[4] Die Gewölbekappen enthalten in Kreisfeldern Darstellungen aus dem Leben und Leiden Christi, und an den Wänden folgen in zwei Reihen übereinander in rechteckigen Feldern, die wagerecht durch langgestreckte Friese mit streng stilisirtem Laubwerk getrennt sind, Bilder aus den Legenden der Märtyrer und Heiligen. Dazu sind sämtliche Rippen, Gurtbögen, Leibungen und Flachnischen in der einfachen kräftig wirkenden Weise, zum Theil mit schwarzen Gründen und mit starker Betonung der Umrisse bemalt.[5]

Im Ornament wirkt noch romanische Ueberlieferung nach, doch tritt an die Stelle des romanischen Rankenwerks das streng stilisirte aber lebensvolle frühgothische Blattwerk.[6] Es wechseln die bekannten Motive von Epheu, Ahorn, Eiche, Wein, Lilien, Rosen usw.; bei größeren Flächenausbreitungen ist das Ornament mit vorzüglich stilisirten Thierfiguren durchsetzt. Die Figuren der biblischen Bilder sind, namentlich in den Kreisflächen der Gewölbemalerei, in etwas gedrungenem Maßstabe gehalten, dabei aber durchweg sehr geschickt in den Raum hineincomponirt. Von Gold ist nirgends mehr Gebrauch gemacht worden. Es waltet trotz der Häufung von Motiven auf einem verhältnißmäßig kleinen Raum, in der gesamten Malerei Ruhe und Klarheit. Die Wiederherstellung ist seinerzeit der ursprünglichen Wirkung wohl nicht ganz gerecht geworden. In dem jetzigen Zustande sind gewisse Härten nicht zu übersehen, wie dies schon in den sonst sehr tüchtigen Aufnahmen des früheren Kölner Malers Ludger Schroer zu erkennen ist. Wenn wir nicht irren, haben auch Welter und Lohse (beide aus Köln) einst hier gemalt. Von den in der Südwand erhaltenen alten Glasmalereien ist ein Fenster farbig wiedergegeben in H. Kolb. a. a. O., ferner zwei andere, darunter das figürliche mit den H. H. Georg und Alexander, in Mithoff a. a. O. Es wechseln in ersterem in rautenförmigen Feldern strengstilisirte Adler mit Rosetten.

Uebrigens birgt die Kirche noch andere werthvolle Schätze mittelalterlicher Kunst, vor allem in einer zwar kleinen, aber unter der sorgsamen Pflege der Damen außerordentlich wohlerhaltenen Sammlung von Wandteppichen. Vor ein paar Jahren hat der Director des Hamburgischen Museums, Herr Dr. J. Brinkmann, durch seine Töchter eine wohlgelungene Nachbildung des interessantesten dieser Teppiche, der die Geschichte von Tristan und Isolde in drei Figurenfriesen darstellt, im Kloster herstellen lassen und dann in der letzten Pariser Weltausstellung sowie in Berlin zur Anschauung gebracht. Zu derselben Zeit hat der Maler Kutschmann aus Berlin, auf Veranlassung des Directors des Königlichen Kunstgewerbemuseums in Berlin Geheimrath J. Lessing, eine sehr gewissenhafte Aquarell-Aufnahme von einem Theile dieses kostbaren Vermächtnisses mittelalterlicher Textilkunst gemacht, die in dem neuesten Werke Lessings: Ueber mittelalterliche Wandteppiche (Verlag von E. Wasmuth, Berlin) in getreuem Farbendruck bereits erschienen ist. Die Fläche ist durch vier Bogenstreifen mit schräggestellten Wappenschildern in drei Figurenfriese getheilt, in denen, von oben links beginnend, auf blauem Grunde in aneinandergereihten Scenen die Geschichte von Tristan und Isolde erzählt wird. Rechts und links ist das Ganze von Borten mit grünen Ranken, weißen und rothen Rosen auf gelbem Grunde eingefaßt (vergl. Abb. 4). Außerdem sind noch vorhanden: ein großer Teppich mit Darstellungen aus der Legende der heil. Elisabeth, ein großer Teppich mit biblischen Darstellungen, vorwiegend alttestamentlich, ein Teppich mit der Legende vom heil. Thomas, ferner der sogen. Prophetenteppich, ein kleiner Teppich mit einem Jagdzug, und endlich ein großer Rococoteppich, einen Kampf zwischen Habicht und Taube enthaltend und in vorwiegend blauen und grünen Farben. In demselben Zusammenhang nennen wir gleich noch das sogen. Hungertuch, von durchsichtigem Stoff und mit Darstellungen von Christi Geburt und Jugend, sowie verschiedene Antependien und Hostientaschen. Die Teppiche sind in dem Mithoffschen Foliowerke von 1849 (s. oben) auf Taf. VI bis einschl. X farbig wiedergegeben. Auf dem Nonnenchor (Abb. 2) befindet sich auch der prächtige Sarkophag, dessen Malereien auf Goldgrund ebenso wie die auf Goldgründen gemalten Figuren und Ornamente der vier von der Aebtissin Katharina von Hoya gestifteten Candelaber im Jahre 1894 von den Malern Mittag und Olbers in Hannover wiederhergestellt wurden. Außerdem werden in der Kirche noch vier Abendmahlskelche gezeigt. Weitere zahlreiche Schenkungen an kirchlichen Werthstücken, namentlich auch Glasmalereien für das ehemals an Stelle des jetzigen Remters vorhanden gewesenen Sommer- und Winter-Refectorium, sind in der obenerwähnten Chronik bezw. in dem Nekrolog der Aebtissinnen und Pröpste aufgeführt und bei Mithoff, a. a. O. Bd. IV, mitgetheilt.

Völlig den Eindruck eines kleinen Museums macht indes im Obergeschoß des den östlichen kleinen Klosterhof abschließenden Flügels der Capitelsaal, in den man, aus der Kirche zurücktretend,


  1. Vergl. Bettinghaus, a. a. O. S. 28 u. ff.
  2. Vergl. Kayser: „Die reformat. Kirchenvisitationen in den welfischen Landen.“ III. Th. S. 451. – Heger, Hannover 1888, S. 1414.
  3. Vergl. Böttger, i. d. Zeitschrift des histor. Vereins f. Niedersachsen. Jahrg. 1855. S. 183–259; – ferner den im Kloster-Archiv befindlichen Nekrolog von etwa 1470 ab.
  4. Vergl. Borrmann, im Text zu Liefg. 1.
  5. Vergl. u. a. auch die Deutsche Bauzeitung, Nr. 25, Jahrg. 1895 S. 158, ferner Mithoff, Archiv f. Niedersachsens Kunstgeschichte Abth. II.
  6. Borrmann, Text zu Liefg. 1.
Empfohlene Zitierweise:
Otto Vorländer: Ein Klostermuseum in der Heide (Wienhausen). In: Die Denkmalpflege. 4. Jg., S. 109–113. Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin 1902, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wienhausen_-_Ein_Klostermuseum_in_der_Heide.djvu/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)