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„Gedulde dich noch eine kleine Weile“, sagte der Große. „Sei nicht so eilig! Ich muß noch ein paar Stücke haben.“

Darüber verging die Zeit.

Der Vogel Rokh trieb ihn abermals zur Eile an: „Die Sonne wird gleich kommen“, sagte er, „und die ist so heiß, daß sie die Menschen verbrennt.“

„Wart noch ein bißchen“, sagte der Große.

Im Augenblick aber kam ein rotes Rad mit Macht hervor. Der Vogel Rokh flog in das Meer, breitete seine beiden Flügel aus und schlug damit in das Wasser, um der Hitze zu entrinnen. Der Große aber ward von der Sonne aufgezehrt.


2. Die drei Reimer

In einem Hause waren drei Töchter. Die älteste heiratete einen Doktor, die zweite heiratete einen Magister, die dritte aber, die besonders klug war und geschickt im Reden, heiratete einen Bauer.

Nun traf es sich, daß ihre Eltern Geburtstag feierten. Da kamen die drei Töchter mit ihren Männern, um ihnen Glück und langes Leben zu wünschen. Die Schwiegereltern bereiteten für ihre drei Schwiegersöhne ein Mahl und tischten ihnen Geburtstagswein auf. Der Älteste aber, welcher wußte, daß der dritte Schwiegersohn die Schule nicht besucht, wollte ihn in Verlegenheit bringen.

„Das ist doch gar zu langweilig“, sagte er, „wenn wir nur so trinken; wir wollen ein Trinkspiel machen. Auf die Worte: am Himmel – auf Erden – am Tische – im Zimmer – soll jeder ein Gedicht machen, das sich reimt und Sinn hat. Wer’s nicht kann, der muß zur Strafe drei Gläser leeren.“

Alle Anwesenden warens zufrieden. Nur der dritte Schwiegersohn kam in Verlegenheit und wollte durchaus

Empfohlene Zitierweise:
Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_005.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)