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der Mann im Monde. Der Kassiabaum wächst so üppig, daß er mit der Zeit den ganzen Glanz des Mondes beschatten würde. Darum muß er alle tausend Jahre einmal abgehauen werden.“ Dann traten sie in die weiten Hallen. Silbern türmten sich die Stockwerke übereinander. Die Säulen und Wände waren alle aus Wasserkristall. Es waren Käfige da und Teiche; darinnen waren Fische und Vögel, die bewegten sich wie lebend. Die ganze Welt schien aus Glas zu sein. Während sie noch nach allen Seiten Umschau hielten, trat die Mondfee auf sie zu in weißem Mantel und regenbogenfarbenem Gewand. Sie sprach lächelnd zum Kaiser: „Du bist ein Fürst der Welt des Erdenstaubs. Du mußt Glück haben, daß du hierher gelangen konntest.“ Damit rief sie ihre Dienerinnen, die kamen auf weißen Vögeln herangeflogen und sangen und tanzten unter dem Kassiabaum. Reine, klare Klänge tönten durch die Luft. Neben dem Baume aber stand ein Mörser aus weißem Marmelstein. Ein Hase aus Jaspis zerstieß darinnen Kräuter. Das war die dunkle Hälfte des Monds. Als der Tanz zu Ende war, da kehrte der Kaiser mit den Zauberern wieder zurück. Er ließ die Lieder, die er im Monde gehört hatte, aufzeichnen und zur Begleitung von Jaspisflöten im Birnengarten singen.


20. Der Morgen- und der Abendstern

Es waren einmal zwei Söhne des goldenen Himmelsgottes. Der eine hieß Hesperus, der andere Luzifer. Die beiden gerieten einst in Streit, und Hesperus schlug dem Luzifer die Hüfte entzwei. Da taten die beiden Sterne einen Schwur, sich nie mehr zu sehen. Hesperus kam immer nur abends hervor und Luzifer immer nur in der Früh, und erst wenn Hesperus verschwunden ist, wird Luzifer wieder sichtbar. Darum heißt es: Wenn zwei Brüder

Empfohlene Zitierweise:
Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_046.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)