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Nun war einmal ein Gelehrter, der hatte einen Fuchs zum Freund. Der Fuchs nahm ihn bei Nacht mit sich und ging mit ihm in den Dörfern spazieren. Sie konnten in die Häuser gehen und alles sehen, was dort geschah, ohne daß die Leute sie bemerkten. Wenn er aber von fern auf einem Hause einen roten Schein leuchten sah, so ging der Fuchs nicht hinein. Der Gelehrte fragte ihn nach dem Grunde.

„Das sind alles berühmte Gelehrte“, antwortete der Fuchs. „Je größer der Glanz, desto umfassender ist ihre Bildung. Ich scheue mich vor ihnen und wage nicht, bei ihnen einzutreten.“

Da sprach der Mann: „Ich bin doch auch ein Gelehrter. Hab ich denn keinen Schein, daß du dich nicht vor mir scheust, sondern mit mir spazieren gehst?“

„Auf deinem Kopf ist nur ein schwarzer Dunst“, erwiderte der Fuchs. „Ich hab noch nie einen Schein bei dir entdeckt.“

Der Gelehrte schämte sich und fuhr ihn an; der Fuchs aber verschwand unter wieherndem Gelächter.


29. Laotse

Laotse ist eigentlich älter als Himmel und Erde. Er ist der gelbe Alte, der mit den anderen vieren die Welt geschaffen. Zu verschiedenen Zeiten aber hat er sich auf der Erde unter verschiedenen Namen gezeigt. Seine berühmteste Menschwerdung jedoch ist die als „altes Kind“ (Laotse) mit dem Namen Pflaume (Li). Das ging aber so zu: Seine Mutter empfing ihn auf übernatürliche Weise und trug ihn zweiundsiebzig Jahre lang. Als er geboren wurde, kam er aus der linken Achselhöhle seiner Mutter hervor. Er hatte gleich von Anfang an weiße Haare, darum nannte man ihn altes Kind. Auch konnte er schon sprechen. Da er keinen menschlichen Vater hatte, deutete

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_066.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)