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Tiger. Auf dem wollte ich heimreiten. Ich schlug ihn aber zu sehr. Da biß er mich ins Bein. Deshalb kam ich her, um es dir zu sagen.“

Noch einmal lief der Knabe von Hause weg viel tausend Meilen weit, bis er an den Sumpf kam, wo der große Urnebel wohnt. Dort begegnete er einem alten Manne mit gelben Augenbrauen und fragte ihn, wie alt er sei. Der Alte sprach: „Ich habe mir das Essen abgewöhnt und lebe von Luft. Die Pupillen in meinen Augen haben allmählich einen grünen Schein bekommen, mit dem kann ich alle geheimen Dinge sehen. Alle tausend Jahre drehe ich meine Knochen um und wasche das Mark. Alle zweitausend Jahre schabe ich meine Haut, daß die Haare abgehen. Ich habe schon dreimal mein Mark gewaschen und fünfmal meine Haare abgeschabt.“

Morgenhimmel diente später dem Kaiser Wu vom Hause Han. Der Kaiser, welcher Zauberkünste liebte, war ihm sehr zugetan. Eines Tages sagte er zu ihm: „Ich möchte gern, daß meine Lieblingsfrau nicht alt wird. Kann man das?“

Morgenhimmel sprach: „Nur ich weiß ein Mittel, nicht alt zu werden.“

Der Kaiser fragte, welche Kräuter man essen müsse. Morgenhimmel erwiderte: „Im Nordosten wächst der Lebenspilz. Die dreibeinige Krähe in der Sonne möchte immer herunter und davon fressen. Der Sonnengott aber hält ihr die Augen zu und läßt sie nicht weg. Wenn Menschen davon essen, werden sie unsterblich, wenn Tiere davon essen, werden sie betäubt.“

„Und woher weißt du das?“ fragte der Kaiser.

„Als Knabe bin ich einmal in einen tiefen Brunnen gefallen, aus dem ich viele Jahrzehnte lang nicht mehr herauskonnte. Da war ein Unsterblicher, der führte mich zu diesem Kraut. Man muß aber durch ein rotes Wasser, das ist so schwach, daß keine Feder darauf schwimmen kann. Alles, was darauf kommt, sinkt in die Tiefe. Der

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_087.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)