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So gab der Herr We seine Tochter dem alten Dschang. Der gab auch nach der Hochzeit seine Gärtnerei nicht auf. Er schleppte Dünger, hackte das Feld und verkaufte Gemüse wie bisher. Seine Frau mußte selber Wasser holen und Feuer machen zum Kochen. Sie tat das alles, ohne sich zu schämen. Ihre Verwandten machten ihr Vorwürfe; aber sie ließ sich nicht abhalten.

Einst kam ein vornehmer Verwandter zu dem Herrn We und sprach: „Wenn Ihr wirklich arm seid, so gab es doch genug junge Herren in der Gegend für Eure Tochter. Warum mußtet Ihr sie gerade an solch einen alten, verrunzelten Gärtner verheiraten? Nun habt ihr sie einmal weggeworfen, da wäre es besser, die beiden zögen aus der Gegend fort.“

Da bereitete der Herr We ein Mahl und lud seine Tochter und den alten Dschang zu sich. Als sie tüchtig Wein getrunken hatten, ließ er den Gedanken ein wenig durchblicken.

Der alte Dschang sprach: „Ich bin nur hier geblieben, weil ich dachte, ihr würdet Euch nach Eurer Tochter sehnen. Da Ihr unser überdrüssig seid, will ich gerne weg. Hinter den Bergen hab ich ein kleines Landhaus. Morgen in aller Frühe wollen wir reisen.“

Am andern Morgen, als es eben dämmerte, kam der alte Dschang mit seiner Frau, Abschied zu nehmen. Herr We sprach: „Wenn wir später Heimweh haben, kann ja mein Sohn nach Euch fragen.“ Der alte Dschang setzte seine Frau auf einen Esel und gab ihr einen Strohhut auf den Kopf. Er selber nahm einen Stock zur Hand und ging hintendrein.

Es vergingen ein paar Jahre, ohne daß Nachricht von den beiden kam. Herr We und seine Frau hatten Heimweh nach ihrer Tochter und sandten ihren Sohn, nach ihr zu fragen. Als der hinter den Bergen angekommen war, traf er einen Knecht, der mit zwei gelben Stieren pflügte. Er fragte ihn: „Wo ist das Landhaus des alten Dschang?“

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_106.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)