Seite:Wilhelm ChinVolksm 155.jpg

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„Darf ich hören, worum es sich handelt“, antwortete Dschou Bau. „Ich stehe Euch, wenn ich helfen kann, gerne zur Verfügung.“

Die Göttin sprach: „Mein Geschlecht wohnt seit Jahrhunderten in der Tiefe des Ostmeers. Da traf uns das Unglück, daß unsere Schätze den Neid der Menschen erregten. So Pi-Los Ahn hat unsern Stamm durch Feuer fast gänzlich ausgerottet. Unsere Vorfahren mußten flüchten und sich verbergen, von einer Rache konnte keine Rede sein. Vor kurzem hat noch dazuhin unser Feind So Pi-Lo selbst einen kaiserlichen Brief in der Höhle des Dungting-Sees abgeben wollen. Unter dem Vorwand, Perlen und Schätze zu erbitten, wollte er in das Drachenschloß eindringen und unsern Stamm ausrotten. Zum Glück hat ein Weiser seine verräterische Absicht erkannt und ihn verhindert, hinzugehen. Statt seiner wurden Lo Dsï-Tschun und seine Brüder ausgesandt. Dennoch fühlen sich die Unsern vor künftigem Schaden nicht sicher. Darum verzogen sie zum fernen Westen. Mein Vater hat sich viel Verdienste um die Menschen erworben und ist dort hochgeehrt. Ich bin seine neunte Tochter. Mit sechzehn Jahren ward ich dem jüngsten Sohn des Felsdrachens vermählt. Mein guter Mann war hitzigen Wesens; darum verstieß er öfters gegen gute Sitte, und ehe ich ein Jahr mit ihm zusammen wohnte, traf ihn des Himmels Strafe. Einsam blieb ich übrig und kehrte in mein Elternhaus zurück. Mein Vater wollte mich zum zweiten Male verheiraten; doch ich wollte meinem Gatten die Treue wahren und tat einen Schwur, meinem Vater nicht zu folgen. Die Eltern wurden böse, und ich mußte mich vor ihrem Groll hierher zurückziehen. Drei Jahre sind es her. Wer konnte denken, daß der gemeine Drache Tschauna, der für seinen jüngsten Bruder eine Gattin suchte, mir mit Gewalt die Hochzeitsgabe überbrachte. Ich sträubte mich, sie anzunehmen; aber Tschauna wußte sich bei meinem Vater wohl dranzumachen und war entschlossen, sein Vorhaben

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_155.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)