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Als unser Herr diese Rede vernommen, da ließ ihn der Gedanke nicht mehr los, daß er durch Aufdeckung dieser verbrecherischen Machenschaften sich um den Staat ein Verdienst erwerbe und daß das seinem Vorankommen sicher nützlich sei. Auf der anderen Seite dachte er auch darüber nach, daß es nicht recht sei, das Vertrauen seines Freundes zu mißbrauchen. Er zog in diesen Gedanken sich in die hinteren Gemächer zurück. Im Hofe stand ein runder Pavillon. In schwere Gedanken versunken, legte er die Hände auf den Rücken und ging lange um den Pavillon herum. Schließlich stampfte er auf die Erde und sagte mit einem Seufzer: Jeder ist sich selbst der Nächste; ich opfere den Freund. – Dann machte er einen Bericht, in welchem er den Offizier zur Anzeige brachte. Ein kaiserlicher Befehl kam heraus. Die Sache wurde untersucht und der Offizier zum Tode verurteilt. Unser Herr aber wurde sofort im Rang erhöht und kam von da an rasch voran. Die ganze Sache hat außer mir niemand erfahren.‘ – Als nun meine Mutter von ihrer Begegnung in der Unterwelt erzählte, da brach die ganze Familie in lautes Weinen aus. Man ließ vier Zelte voll von buddhistischen und taoistischen Priestern kommen, die fasten und Messe lesen sollten fünfunddreißig Tage lang, um ihn zu erlösen. Ganze Berge von Papiergeld, Seide und Strohpuppen wurden verbrannt. Noch immer sind die Feiern nicht zu Ende.“

Als Dung das hörte, erschrak er sehr.

Nach zwei Jahren erhielt er den Befehl, nach Taianfu zu reisen, um dort Räuber dingfest zu machen. Da dachte er bei sich selbst: „Mein Freund, der Geist, muß doch sehr mächtig sein, daß er diese Reise schon so lange vorher wußte. Ich muß mich nach ihm erkundigen. Vielleicht bekomme ich ihn zu Gesicht.“

In Taianfu angekommen, suchte er eine Herberge auf.

Der Wirt empfing ihn mit den Worten: „Seid Ihr der Meister Dung, und kommt Ihr von der Kiautschoubucht?“

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_187.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)