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daß die Leiche der Frau zurückgebracht werden sollte. Aber die Leiche hielt den Baum so fest umfangen, daß man sie nicht losbekommen konnte. Man sah nach, und es zeigte sich, daß die Finger beider Hände tief in das Holz eingedrungen waren. Man mußte alle Kraft anwenden, um sie herauszureißen.

Da begann der Mann zu weinen und sprach: „Wir sind zu fünfen ausgezogen, und ich komme nun allein zurück. Wie soll ich mich von dem Verdacht reinwaschen, daß ich die andern umgebracht?“

So sandte denn der Beamte eine Feststellung des Sachverhalts in die Heimat des Mannes und ließ auch die vier Toten zur Beerdigung dorthin überführen.


69. Der unartige Knabe

In der Nähe von Kiautschou lebte ein Gelehrter. Der war einige Meilen von seinem Heimatsort entfernt als Hauslehrer bei einem reichen Manne angestellt. Er hatte einen fünfzehnjährigen Sohn, den er zu Hause zurückließ. Der Knabe hatte die heiligen Schriften schon gelernt und war eben daran, sich im Aufsatzmachen zu üben. Sein Vater befahl ihm, fleißig zu arbeiten. Er gab ihm zwölf Aufsatzthemen und hundert Blätter mit alten Schriftzeichen, die er nachmalen sollte. Nach dem Laternenfest ging er weg, am Frühlingsfest wollte er wiederkommen. Bis dahin sollte der Knabe mit allem fertig sein, und sein Vater wollte die gemachten Arbeiten prüfen. Er schärfte ihm noch ein, daß er die Zeit nicht vertrödeln dürfe, und bestellte seinen Oheim, der ebenfalls ein großer Gelehrter war, ihn zu beaufsichtigen.

Kaum war der Vater weg, so tat der Knabe nichts anderes, als sich draußen herumzutreiben, und ließ seine Aufgaben unberührt liegen. Es war ein sehr begabter

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_206.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)