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Sie sprach: „Ich weiß wohl, daß der Kaiser Sehnsucht nach mir hat. Doch führt für mich kein Weg zur Menschenwelt. Ich darf nicht mit dir zurück. Vor meiner Geburt war ich eine selige Himmelsfee, und auch der Kaiser war ein seliger Geist. Schon damals liebten wir uns innig. Als dann der Kaiser vom Herrn zur Erde hinabgesandt wurde, da stieg auch ich hernieder zu den Menschen und fand ihn dort. In zwölf Jahren werden wir uns wiedersehen. Einst hat mir der Kaiser am Siebenabend, als wir zur Spinnerin und dem Kuhhirten emporblickten, ewige Liebe geschworen. Er hatte einen Ring, den er zerbrach. Die eine Hälfte gab er mir, die andere behielt er selbst. Nimm nun die Hälfte hin und bring sie dem Kaiser und sage ihm, er solle der heimlichen Worte am Siebenabend nicht vergessen. Doch solle er sich nicht zu sehr um mich grämen.“

Damit gab sie ihm den Ring, mühsam das Schluchzen unterdrückend. Der Zauberer brachte den Ring zurück. Bei seinem Anblick ward der Liebesschmerz des Kaisers wieder neu.

Er sprach: „Was wir an jenem Abend geredet, hat nie ein anderer Mensch erfahren. Du bringst mir nun den Ring zurück; daran erkenne ich, daß deine Worte Wahrheit sind, und daß meine Geliebte wirklich eine selige Fee geworden ist.“

Dann steckte er den Ring zu sich und gab dem Zauberer reichen Lohn.


91. Der Arzt

Sun Sï Mo war schon in früher Jugend in aller Weisheit wohl bewandert. Lange hielt er sich im Gebirge versteckt. Erst als der Kaiser Tai Dsung das Tanghaus begründete, kam er hervor. Der Kaiser wollte ihm ein Amt geben; er aber lehnte ab und war als Arzt den Menschen hilfreich. Er trug einen

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_277.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)