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ihn nun erblickte, wie er Zug um Zug seinem Vater glich, da konnte sie sich nicht länger halten; die Tränen brachen ihr in Strömen hervor. Da merkte der Mönch vom Yangtsekiang, daß es seine Mutter war. Er nahm die blutige Handschrift hervor und gab sie seiner Mutter.

Die streichelte ihn und sagte schluchzend: „Mein Vater ist ein hoher Beamter, der sich von den Geschäften zurückgezogen hat und in der Hauptstadt weilt. Es war mir aber nicht möglich, ihm zu schreiben, weil dieser Räuber mich streng gefangen hält. So habe ich denn mein Leben gefristet, wartend bis du kämst. Nun eile nach der Hauptstadt und räche deinen Vater, so wird auch mir der Tod kein Leid mehr sein. Du mußt aber schnell machen, damit niemand etwas erfährt.“

Eilends ging nun der Mönch von dannen. Er kehrte zunächst in sein Kloster zurück, um sich von seinem Abt zu verabschieden; dann ging er nach der Hauptstadt Sianfu.

Zu jener Zeit war sein Großvater schon gestorben. Aber es lebte ihm noch ein Oheim, der war bekannt bei Hofe. Der nahm Soldaten und machte dem Räuber ein Ende. Die Mutter aber hatte sich erhängt.

Seit jener Zeit lebte der Mönch vom Yangtse bei einer Pagode in Sianfu und war bekannt unter dem Namen Hüan Dschuang. Als der Kaiser jenen Befehl ergehen ließ, war er etwa zwanzig Jahre alt. Er trat vor den Kaiser; da ehrte ihn dieser als Lehrer. Dann machte er sich auf den Weg nach Indien.

Siebzehn Jahre blieb er weg. Drei Sammlungen von Büchern brachte er mit, und jede Sammlung enthielt fünfhundertvierzig Rollen. Damit trat er vor den Kaiser. Der Kaiser war hoch erfreut und schrieb mit eigener Hand ein Vorwort zu der heiligen Lehre, in dem er all diese Geschichten aufzeichnete. Dann wurde das große Opfer veranstaltet, um den alten Drachen zu erlösen.

Empfohlene Zitierweise:
Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_288.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)