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Festmahl war aufgetischt. Mosü fühlte sich glücklich wie im neunten Himmel.

Als er jedoch das Gemach betreten wollte, da kamen auf beiden Seiten der Tür sieben, acht Mägde hervor, die hielten Bambusstöcke in der Hand, mit denen schlugen sie unbarmherzig auf ihn ein. Sie schlugen ihm seinen Festhut vom Kopfe, und dann hagelten die Streiche auf Schultern und Rücken. Mosü rief um Hilfe. Da hörte er im Zimmer eine zarte Stimme sprechen: „Ganz braucht ihr ihn nicht totzuschlagen, den herzlosen Bräutigam. Bittet ihn herein zur Begrüßung!“

Da ließen die Mägde ab von ihm und drängten sich um die Braut, der sie den Hochzeitsschleier abnahmen.

Mosü verneigte sich gesenkten Hauptes und sprach: „Was habe ich denn getan .....“ Aber als er die Augen aufschlug, da stand niemand anderes vor ihm als seine Frau Goldtöchterchen!

Er zuckte vor Schreck zusammen und schrie: „Ein Gespenst! Ein Gespenst!“ Aber alle Dienerinnen brachen in lautes Gelächter aus.

Endlich kam Herr Hü mit seiner Frau herein, der sprach: „Mein lieber Schwiegersohn, sei versichert, das ist meine Pflegetochter, die ich auf meiner Reise hierher aufgenommen habe, kein Gespenst.“

Da fiel Mosü eiligst auf seine Knie und sprach: „Ich habe mich versündigt, ich bitte um Gnade!“ und machte unablässig Kotau.

„Das geht mich nichts an,“ erwiderte Herr Hü, „wenn nur unser Töchterchen gut mit dir auskommt, dann ist alles gut.“

Goldtöchterchen aber spuckte ihm ins Gesicht und fing an: „Du kaltherziger Schurke! Erst warst du arm und dürftig. Wir nahmen dich in unsere Familie auf und ließen dich studieren, daß du es zu etwas brachtest und dir einen Namen machtest. Aber kaum warst du Beamter und angesehen, da verkehrte sich deine Liebe in Feindschaft, und

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_296.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)