Seite:Wilhelm ChinVolksm 306.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

in dem eine große Höhle war, die sich im Dunkel verlor. Mitten in seinem Schrecken überraschte ihn der Donnerschlag. Heftiger Regen goß in Strömen, und ein Sturmwind erhob sich, der die größten Bäume entwurzelte. Es flimmerte ihm vor den Augen, und seine Ohren waren betäubt. Aber er hielt sein Schwert in der Hand und blieb unbeweglich stehen wie ein Fels. Plötzlich sah er mitten im schwarzen Rauch und Schein der Blitze ein Ungeheuer mit spitzem Schnabel und langen Klauen, das eine menschliche Gestalt davontrug. Wie er genauer hinblickte, da erkannte er an den Kleidern, daß es Giauna sei. Er sprang nach ihm empor und schlug mit dem Schwerte darnach, und sofort fiel es zur Erde. Ein heftiger Donnerschlag erschütterte den Boden, und tot stürzte Kung zusammen.

Darnach klärte es sich wieder auf, und der blaue Himmel kam wieder hervor.

Giauna war wieder zu sich gekommen, und als sie den Kung neben sich tot liegen sah, da sprach sie schluchzend: „Er ist um meinetwillen gestorben, was soll ich länger leben!“

A-Sung kam auch hervor, und sie trugen ihn miteinander in die Höhle. Giauna hieß die A-Sung ihm den Kopf halten und ihren Bruder ihm den Mund öffnen. Sie selbst faßte ihn am Kinn und holte mit der Zunge ihre rote Kugel hervor. Dann drückte sie ihre Lippen auf die seinigen und hauchte ihn an. Da kam der Atem wieder in seine Kehle mit rasselndem Getön, und nach einiger Zeit kam er wieder zu sich.

So war denn die ganze Familie wieder beieinander, und keines hatte Schaden genommen. Sie erholten sich allmählich von ihrem Schrecken und waren ganz vergnügt, als plötzlich ein kleiner Knabe mit der Meldung kam, Giaunas Mann mit seinem ganzen Hause sei vom Donner getötet. Giauna brach weinend zusammen, und die andern suchten sie zu trösten.

Schließlich sagte Kung: „Es ist nicht gut, dauernd unter

Empfohlene Zitierweise:
Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_306.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)