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hatte selber Geld zurückgelegt für die Steuer; er drehte seine Taschen um und gab es ihm. Nicht lange, so kam der Steuereintreiber vor seine Tür, und er mußte damit anfangen, seinen Besitz zu verpfänden. So kam sein Eigentum allmählich herunter. Früher, solange er im Überfluß gelebt, waren seine Vettern und Verwandten um die Wette gekommen, sich ihm dienstbar zu erweisen, und er fragte auch nichts danach, wenn sie gelegentlich etwas von den Vorräten des Hauses mitnahmen. Nachdem er aber heruntergekommen war, blieben ihm nur noch ganz wenige treu. Zum Glück konnte er sich darüber hinwegsetzen.

Einst am Todestag seiner Mutter ward er krank, so daß er nicht an ihr Grab konnte. Er wollte einen seiner Vettern schicken, um für ihn das Opfer darzubringen. Der Diener ging bei ihnen allen der Reihe nach herum; aber jeder hatte einen Vorwand abzulehnen. So brachte er denn seine Gaben im Hause dar und weinte vor der Ahnentafel. Es machte ihm recht zu schaffen, daß er keine Nachkommen hatte. Dadurch wurde es mit seiner Krankheit immer schlimmer.

Während er so vor sich hindämmerte, fühlte er, wie ihn jemand streichelte. Er öffnete die Augen ein wenig, da war es seine Mutter. Erschreckt fragte er sie, warum sie komme.

Sie antwortete: „Da niemand im Hause ist, um an mein Grab zu gehen, so kam ich hierher zum Mahle. Da sah ich, daß du krank bist.“

Sie fragte ihn noch, wohin er ziehen wolle.

Er sagte: „Nach Süden, ans Meer.“

Als sie aufhörte mit Streicheln, da fühlte er eine Kühlung in seinen Gliedern. Er öffnete die Augen und sah sich um; aber es war niemand da. Seine Krankheit ward nun besser.

Als er wieder aufstehen konnte, gedachte er eine Wallfahrt nach dem Südmeer zu machen; doch hatte er leider keinen Reisegefährten. Da traf es sich, daß in einem Nachbardorfe

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_344.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)