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Schmerzenreich sagte schluchzend: „All die Jahre her hast du als Mutter für mich gesorgt. Und nun, wies so weit ist, daß wir von Kälte und Hunger nichts mehr zu leiden haben, willst du uns verlassen und gehen, ehe du dein Glück in Ruhe noch genossen hast.“

Sie sprach: „Das Gute, das der Vater sät, hat als Glück der Sohn zu ernten. Alles, was du an Reichtum hast, ist deines Vaters Lohn. Ich habe kein Verdienst. Ich war ursprünglich eine blumenspendende Himmelsjungfrau. Doch ward ich bestrickt von irdischen Gedanken. Darum mußte ich in die Menschenwelt. Ich ward deinem Vater zur Frau gegeben; doch verstieß er mich, und nach langer Irrfahrt erst haben wir uns wiedergefunden. Mehr als dreißig Jahre sind nun vorüber, und meine Zeit ist um.“

Damit stieg sie selbst in den Sarg. Der Sohn rief noch einmal nach ihr, aber ihre Augen waren schon geschlossen. Weinend ging Schmerzenreich hin, es seinem Vater zu sagen. Aber der Vater hatte auch schon die Leichenkleider angezogen und stieg, sein Leben aushauchend, in seinen Sarg. Man stellte die Särge in der Halle auf. Mehrere Tage zögerte man, sie zu schließen, in der Hoffnung, sie kämen wieder zum Leben. Ein Schein ging aus von den Lotosblumen des Vaters, der rings das Gemach erhellte. Von Schneeflockens Sarg aber stieg ein süßer Duft auf, die ganze Luft umher erfüllend. Als man die Särge schloß, verschwanden Duft und Glanz allmählich.


100. Der Affe Sun Wu Kung

Im fernen Osten, mitten im großen Meer, ist eine Insel, die heißt: der Berg der Blumen und Früchte. Auf diesem Berge stand ein hoher Fels. Der hatte seit Anbeginn der Welt alle geheimen Samenkräfte von Himmel und Erde, Sonne und Mond in sich aufgenommen; dadurch erhielt er übernatürliche

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_350.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)