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von der Urzeit her war gestützt und getragen durch das Zeugnis des Gewissens. Es muß freilich gesagt werden, daß das Gewissen abgestumpft werden kann und durch die Gewohnheit des Sündigens abgestumpft worden ist. Es ist darum auch die natürliche Gotteserkenntnis allmählich getrübt worden. Wir sehen aus der Geschichte der Religionen und den Andeutungen der heiligen Schrift die allmähliche Entstehung des Heidentums, wie die Menschen neben dem wahren Gott zugleich Naturkräfte göttlich verehrt haben, wie etwa in Abrahams Familie die Kenntnis des wahren Gottes zwar nie verloren ging, aber doch daneben auch falschen Göttern gedient, Naturkräften, Gestirnen u. a. m. göttliche Verehrung gezollt wurde. So ist allmählich das Heidentum aufgekommen, aber Gott behielt sich allezeit einen heiligen Samen übrig. In der Zeit vor der Sintflut waren es die Sethiten, in deren Geschlecht sich die Kenntnis des wahren Gottes fortpflanzte. Auch zu Abrahams Zeiten finden wir außerhalb des Kreises der Offenbarung noch Einzelne, die den wahren Gott kannten und ernstlich suchten. Hiob, der zur Patriarchenzeit gelebt haben mag, ist solch ein merkwürdiges Beispiel eines Mannes, der Gott ernstlich suchte und dessen Wunsch und Sehnen in seinem schweren Leiden immer ernstlicher darauf ging, daß er Gott schauen möchte, bis Gott sich ihm offenbarte und ihn damit zum Frieden brachte. Auch Melchisedek ist ein solches Beispiel aus der Urzeit. Weil aber diese Gotteserkenntnis sich mehr und mehr trübte, hat Gott den Weg der eigentlichen Offenbarung eingeschlagen. So ist das Wissen von Gott uns einigermaßen von Natur vergönnt, aber hauptsächlich durch die Offenbarung fest gegründet. Dieser Offenbarung Gottes antwortet das einstimmige Bekenntnis der ganzen Menschheit, soweit sie Gott kennt mit der Aussage, daß es einen Gott gibt und mit der Anrufung seines Namens.

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 II. Wir schreiten aber weiter zum Gottesbegriff, das heißt, soweit es möglich ist, zum Verständnis dessen, was der große Gedanke der Gottheit in sich schließt. Ist es nicht ein Widerspruch in sich selbst, vom Gottesbegriff zu reden? Wir kennen die Sage vom heiligen Augustin, daß er nachdenkend über das Geheimnis der heiligen Dreieinigkeit am Meeresgestade hinwandelte. Da trifft er einen Knaben, der sich im Sand eine Grube gemacht hat und mit seinem Hütlein eifrig Wasser aus dem Meer in die Grube trägt. Nachdem er ihm eine Zeitlang zugesehen hat, fragt er ihn: „Mein Sohn, was machst du?“ und eifrig antwortet der Knabe: „nun ich will doch das Wasser des Meeres hier in die Grube tragen, die ich gemacht habe.“ Da soll Augustinus sich gesagt haben: Dies törichte Unterfangen des Kindes, ist es nicht mein eigenes? Wie kann ich das Meer der Gottheit, das unergründliche und unfaßbare, in die enge Grenze meines menschlichen Geistes einschließen wollen? – Wenn wir schon von den Wegen und Gerichten Gottes sagen