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eine längere Weltdauer als nur 6000 Jahre angenommen werden. Die Entstehung der Steinkohlen, die doch aus verkohlten Gewächsen entstanden sind, oder die Entstehung des Muschelkalks setzen eine längere Zeit des Bestehens der Erde voraus. Wir werden aber auch sagen dürfen: Eine längere Dauer der Welt an sich läßt sich wohl mit dem biblischen Schöpfungsbericht vereinigen. In dem Vers: „Und die Erde war wüste und leer und es war finster auf der Tiefe“ kann man alle diese Zeiten, die erforderlich scheinen nach den Forschungen der Gegenwart, unterbringen, wenn man nicht die Schöpfungstage als längere Gottes- und Welttage annehmen will. Das wird gesagt werden dürfen über den Schöpfungsbericht selber.

 Wir haben nun erstlich die Schöpfung ins Auge gefaßt als Tat Gottes an der Schwelle der Zeit. Es ist die Schöpfungstat Gottes die Betätigung Gottes, die von der Ewigkeit zur Zeit gleichsam herüberreicht. Aber was ist nun die Bedeutung dieser Gottestat für das Verhältnis Gottes zur Menschheit und insbesondere für sein Liebesverhältnis zum menschlichen Geschlecht?


II.

 Wir sagen zunächst: Die Schöpfung ist die Offenbarung des göttlichen Liebesrates über das Menschengeschlecht. Es gibt einen Gedanken, der bei uns etwas zu sehr zurücktritt, nämlich die ewige göttliche Erwählung. Die Schrift spricht ausdrücklich davon, daß wir erwählt sind schon vor Grundlegung der Welt. Das bezeugt der Apostel Epheser 1 und auch Römer 8, wenn wir auch absehen müssen von der schwierigen Stelle Röm. 9, in welcher die zeitgeschichtliche Erwählung des Volkes Israel gemeint ist. Man wird leicht irre an diesem großen Gedanken einer ewigen Erwählung, durch das Mißverständnis und die Mißdeutung, die dieser Gedanke gefunden hat in der Lehre von der Prädestination, wie sie von Calvin nach seiner ganzen Art des Denkens auf die Spitze getrieben worden ist. Derselbe lehrte wie bekannt geradezu, daß Gott von Ewigkeit her eine bestimmte Anzahl von Menschen für die Seligkeit erwählt habe, um an ihnen seine Liebe zu verherrlichen, und andere zur Verdammnis, um an ihnen seine Heiligkeit zu zeigen, ja er geht soweit, daß er auch den Sündenfall als von Gott voraus gewollt angesehen hat. Dem stehen doch die klaren Worte gegenüber: „Gott will, daß allen Menschen geholfen werde und alle zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“ „Er will nicht daß jemand verloren werde, sondern daß sich jedermann zur Buße kehre.“ Und wenn man dem gegenüber auf das Wort hinweist: „Viele sind berufen, wenige sind auserwählt“, so wird das nicht allzu schwer in Einklang zu bringen sein auf dem Wege, den schon unsere Väter uns gezeigt haben, nämlich: Gott hat alle Menschen sicherlich zur