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ganz haben. Denken wir an das grundlegende Wort 5. Mose 6: „Höre, Israel der Herr unser Gott ist ein einiger Herr, und du sollst Gott deinen Herrn liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von allem Vermögen.“ Weil Gott, der einige Herr, der höchste ist, darum muß er auch in unserem Herzen der höchste sein, von uns über alles hochgehalten werden. Sobald aber die Kreaturenliebe die Liebe zu Gott verdrängt, so ist das Liebesband zwischen Gott und uns zerrissen. So war es auch damals beim Sündenfall. Als die Kreaturenliebe ins Herz eindrang, nämlich das Verlangen etwas zu haben ohne Gott, ja wider Gott, alsbald war auch die Sünde da, denn alles was wider Gott ist, ist Sünde. Sünde ist Unrecht, sagt St. Johannes. Sie ist Gesetzlosigkeit, Uebertretung des göttlichen Gebotes. Sünde ist damit ein verkehrtes Handeln und ist zugleich eine Schuld; denn dem Menschen ist das Gebot Gottes wohl bekannt, wie auch die Heiden sich selbst ein Gesetz sind. Sünde ist damit ferner Geschiedenheit von Gott. Wie hat sich das alsbald bei den ersten Menschen gezeigt. Als sie die Sünde getan hatten, war ihr Verhältnis zu Gott ein ganz anderes. Sie sahen auch sich selbst mit ganz andern Augen an. Bisher war des Menschen Reinheit und Heiligkeit sein Kleid und Gewand gewesen. Jetzt muß der Mensch sich vor sich selbst schämen. Daraus sehen wir: Die ursprüngliche Reinheit und Heiligkeit war dahin.


III.

 So ist alles anders geworden und es zeigen sich die bedauerlichen Folgen der Sünde. Es ist keine Liebe zu Gott mehr im Herzen, sondern vielmehr Lust zum Bösen. – Was wir damit aussagen, das ist kurz die Erbsünde, die wir nicht minder aufzufassen haben aus dem Gesichtspunkt des zerrissenen Liebesbandes zwischen Gott und Menschen. Der sündige Zustand, in den der erste Mensch gekommen war, vererbte sich fort. Das zeigte sich alsbald bei dem ersten Menschen, der geboren wurde, er ist mit der Erbsünde geboren und er ward ein Brudermörder. Das zeigt sich heute noch. Gewiß ruht auf den kleinen Kindern ein Widerschein der ursprünglichen Unschuld; aber wie so bald merken wir auch an ihnen die Sünde in Form des Eigensinns und Eigenwillens. Diese üble Neigung darf ja nicht übersehen werden und Schwestern, die, wie öfter geschieht, ein Kind annehmen und erziehen wie ein eigenes, und Gefallen finden an der verhältnismäßigen Unschuld, müssen sich davor hüten, nur das Gute und Liebenswürdige beidem selben zu sehen und es damit zu verziehen. Wo man freilich Kinder in größerer Zahl beisammen hat, besteht diese Gefahr weniger; da ist eher das Gegenteil der Fall, daß man das eben doch auch vorhandene Gute übersieht und zu wenig überlegt, was für Einflüsse