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Wort wiederklingen läßt. „Wir sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den wir vor Gott haben sollten“ und wo er so deutlich bezeugt, daß es einen Zorn Gottes gibt, dem die Menschen unterstehen von Natur.


II.

 Wie wichtig ist nun das auch für uns! O wollen wir uns doch täglich mit allem Ernst unter das Gericht der göttlichen Heiligkeit stellen! Wollen wir doch nie die Erkenntnis, den Gedanken verlieren, daß wir um unserer Sünde willen von Gott geschieden sind! Wie stets in uns das Verlangen lebendig sein muß Gott zu finden und ihn zu haben, so auch die Erkenntnis, daß dazu notwendig ist Tilgung der Schuld, Versöhnung mit dem heiligen Gott. Aber wir haben auch eine Versöhnung, wir haben einen Versöhner. 1. Joh. 2, 1 und 2 bezeugt uns das der Apostel der Liebe so deutlich: „Solches schreibe ich euch, auf daß ihr nicht sündiget. Und ob jemand sündiget, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesum Christ, der gerecht ist. Und derselbige ist die Versöhnung für unsere Sünden.“ Wir haben die Lehre von der Person Christi besprochen und haben erklärt, daß wir mit der Kirche festhalten an dem, was die Väter in Chalcedon so deutlich und klar bezeugt haben, daß in Christo die zwei Naturen, die göttliche und die menschliche vereinigt sind in einer Person. Warum halten wir daran fest? warum geben wir nicht den Modernen nach, die sagen: Ja, Christus war wohl der Sohn Gottes insofern eben, daß er erstmals klar erkannte, daß die Menschen trotz der Sünde sich als Kinder Gottes betrachten dürfen? Warum lassen wir uns nicht herab auf den bequemen Standpunkt des alten Rationalismus, der Christus als größten Propheten und Weisheitslehrer rühmte und als den, der durch seine Liebe und Treue, die er auch im Leiden bewies, entschieden zur Sinnesänderung mahnte und auch die rechte Sinnesänderung uns vor Augen stellte? Ritschl, der eigentliche Vater der modernen Theologie, stand ja so, daß er sagte: Der Mensch wird vor Gott gerecht, wenn er die Ueberzeugung erlangt, daß er trotz seiner Sünde mit Gott in Gemeinschaft stehen kann, und aus dieser Rechtfertigung ergibt sich dann die Versöhnung. Also nicht ruht die Rechtfertigung auf der durch Christum gewirkten Versöhnung, sondern durch die Rechtfertigung wirkt der Mensch sich die Versöhnung selbst; aber immer steht Christus deutlich auf Seiten der Menschheit. Und wenn einer, der noch einer der kirchlichsten unter den Modernen sein wollte, der verstorbene Kirn in Leipzig, es so hinstellt: „Christus in seinem Leiden und Sterben garantiert der Menschheit die Sinnesänderung Gottes und garantiert Gott die Sinnesänderung der Menschen,“ so steht auch hier im tiefsten Grund Christus deutlich