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Traum, jedenfalls in der Nacht, die auf die Tempelweihe folgte. Wie die Stände des Volks bei einem Landtag die Thronrede mit einer Adresse beantworten, die die Worte des Fürsten wiederholt, so schließt umgekehrt hier die göttliche Antwort sich ganz genau und mit Wiederholung derselbigen Worte an die Bitte Salomos an. Salomo betet: „So laß nun Deine Augen offen stehen über diesem Haus und Deine Ohren aufmerken auf das Gebet an dieser Stätte,“ und der HErr antwortet: „So sollen nun Meine Augen offen sein und Meine Ohren aufmerken auf das Gebet an dieser Stätte.“ Aber ER setzt noch hinzu: Meine Augen und Mein Herz sollen da sein allewege. So geht also die Erhörung überschwänglich über die Bitte hinaus. Salomos Bitte ist, so zu sagen, eine bescheidene; er bittet um ein offnes Ohr und Auge Gottes für die Gebete seines Volks, und der HErr antwortet, daß ER die Bitten des Volks nicht blos bemerken und hören, sondern Sein Herz zu ihm neigen wolle. Alles was urbildlich in Gott dem menschlichen Herzen entspricht: Sein väterliches Gemüth, Seine Zustimmung, Seinen Willen und kräftige Bereitschaft zur Erhörung, sagt ER dem betenden Volke zu. Wenn Salomo auch noch so vollkommen gebetet hat, so ist er eben doch nur ein Mensch. Die Gränzen des menschlichen Geistes werden durch den Einfluß des göttlichen Geistes nicht aufgehoben; auch ein Apostel hört nicht auf Mensch zu sein, sondern gibt Gottes Wort nur wieder im Abglanz einer Menschenseele. Daher sind Gottes selbsteigene Worte größer als alle menschlichen, auch inspirirten Worte. Der HErr legt dem Sinn des Beters noch zu, Seine Antwort geht weiter als der Beter denkt. Der Apostel sagt: der Geist vertrete uns mit unausgesprochenen Seufzern, Gott aber kenne des Geistes Sinn. Der Geist legt auch was in unsern Gebeten uns unbewußt und unverstanden ist dem

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Wilhelm Löhe: David und Salomo. C. Bertelsmann, Gütersloh 1895, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_David_und_Salomo.pdf/126&oldid=- (Version vom 11.9.2016)