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neue Gedanken an, wenn sie als frischerkannte Fülle alter Wahrheit erscheinen. Man mache nur vorurtheilsfrei Erfahrung. – Die Episteln erwählte man sich von Alters her zu den Früh- oder Nachmittagsgottesdiensten der Sonntage. Auch bei ihnen ist es wiederum der Anschluß ans Bekannte und Eine, was der Prediger sucht: die Episteln stimmen mit den Evangelien, die Apostel mit Christo – Ein Glaube ist überall zu finden, Eine Heilsordnung, Eine Heiligung. – Für die Wochenkirchen schlägt Luther fortlaufende Erklärung der h. Schrift vor. Aber auch sie wählt ein verständiger Prediger nicht dazu, daß er, was doch nicht gelingt und nicht möglich ist, die Schrift vollständig und im Zusammenhang der Worte erkläre. Er begehrt nicht jede Conjunction und Präposition, jedes Nomen, jedes Verbum aufs genauste zu erklären; sondern überall sind es die klaren Stellen, die er herausnimmt und durch welche er das der Gemeinde Bekannte stärken und in neuem Lichte zeigen kann. Seine Weißagung ist immer dem Glauben ähnlich, und er gibt immer seinem Volke das, was es am bereits empfangenen Lichte, am Lichte seines Catechismus und der Evangelien, verstehen kann. Nicht zunächst Erklärung der Dunkelheiten, sondern Bestätigung und Bewährung im Klaren ist es, was er will und beabsichtigt. – Das ist der Weg der Einfalt, dem jede Gabe ersprieslich ist, der für jede Gabe gangbar ist, der nicht so gelehrt und bibelweise aussieht, als manch anderer Weg, der sich aber erweist und bewährt. Er ist klar gezeigt in der Verschiedenheit der Bibelauslegung Dr. M. Luthers auf der einen und Calvins auf der andern Seite. Diesem ist Bibelkenntnis und Erkenntnis des Schriftverstandes nächstes Ziel, jener sucht überall die Regula fidei, die klare Lehre der Schrift neu zu bestätigen. Daher ist Calvin so genau (wie es allerdings für Theologen ersprieslich sein kann!), Luther aber verfährt eklektisch, großartig seelsorgerisch, immer gegürtet und an Beinen gestiefelt, zu treiben das Evangelium des Friedens und den Einen Glauben; und das ist nöthig den schwankenden Gemüthern beides der Laien und der Verständigen.