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bestimmt werden, als er nach Gottes Sinn und Willen und der Beschaffenheit der von ihm stammenden Schriften sich bestimmen mußte und bestimmt hat. So hoch man deshalb den Dienst der Kirche, welche ihren Kindern Gottes Zeugnisse überliefert hat und die Wahrheit, welche neugebiert, in die Welt einführt, anschlagen muß; so ist doch Gottes Zeugnis und die Wahrheit größer, als auch die gottverlobte Schaar der Kirche, welche ja selbst aus dem Worte geboren wird und geboren wurde, wie der Thau aus dem Morgenroth. Die Kirche ist des Wortes Kind und kann drum nimmermehr über dem Worte stehen. – Es ist wahr, daß die erste Gemeine zu Jerusalem, also die Kirche in ihren Anfängen, da war, ehe man irgend ein Buch des Neuen Testamentes in den Versammlungen lesen konnte. Aber was streitet man denn? Auch die erste Gemeine kam doch aus eines Apostels mündlichem Worte! Es ist aber ein und dasselbe Wort, welches man am ersten Pfingsten hörte und heut zu Tage liest. Dadurch, daß der Geist des HErrn das Wort aufschreiben ließ, ist es wahrhaftig nicht jünger geworden, als die aus ihm zuvor unläugbar entsprungene Kirche. So wenig der Glaube der drei Tausende Petri erster Predigt das apostolische Ansehen gab, eben so wenig gibt der Glaube der drei ersten Jahrhunderte dem geschriebenen Worte der Apostel das Ansehen. Ja, gleichwie der Glaube der ersten Gemeine, ihr Zeugnis für die von ihr gehörte Predigt, und ihr Dasein selber eine Frucht des mündlichen Wortes Petri, der göttlichen Predigt war; eben so sind nachfolgende Gemeinen, ihr Glaube, ihr Zeugnis für das Wort auch nur Früchte des Wortes selber, das sie lasen und dem gemäß unter ihnen gepredigt wurde.

 Also weit entfernt, daß in der ersten Zeit der Kirche ihr Mittelpunkt im apostol. Worte gefehlt habe, ist er nie offenbarer Mittelpunkt gewesen, als eben damals, wo die Apostel lehrend und schreibend in der Gemeine lebten. Dazu ist es eine eben so ungerathene, als geringfügige Behauptung, daß die Kirche älter sei, als die Schriften des Neuen Testaments, da sie doch nicht älter ist, als das Wort des Neuen Testaments und die Schriften des Alten Testaments, von denen wir hier nicht einmal reden wollen.