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das klare Wort der Schrift aller Verdammnis werth. – Indes wollen wir die Frage von der Tradition etwas schärfer ins Auge faßen.

 Daß die Apostel mehr geredet haben, als sie schrieben, bezweifelt niemand. Auch zweifelt niemand, daß die Gemeinden, in welchen die Apostel mündlich lehrten, leichteren Weges von Gottes Geist in alle Wahrheit geleitet wurden, als wir, die wir aus dem geschriebenen Worte alle Schlüße für jeden Fall und alle Antwort auf jede Frage ziehen müßen. Auch wollen wir gar nicht in Abrede stellen, daß Apostelschüler aus Erinnerung mündlicher Belehrungen in zweifelhaften Fällen, die aber Hauptlehren und Hauptstellen der Schrift nicht betreffen konnten, wenn nicht die Zweifelnden verblendet waren, ein Licht geben konnten, das ohne ihre Erinnerung schwerer zu gewinnen gewesen wäre. Ja, wir wollen auch zugeben, daß dann, wenn Irrlehrer klare Worte und Lehren der Schrift anzweifelten, die Erinnerung an die mit dem Worte übereinstimmende mündliche Belehrung der Apostel das schwache, gegen Gottes Wort so gerne mistrauische Menschenherz stärken und das Gewißen der Irrlehrer schärfen konnte. Aber das Bedürfnis einer Tradition, welche dem Wort helfend, zurecht- und auslegend zur Seite gienge, ergibt sich aus alle dem nicht, so lange der Satz fest steht, daß die Schrift klar ist in allem, was zum ewigen Leben nöthig ist. Erinnerungen an mündliche Lehren der Apostel sind eine schöne Beigabe der ersten Zeit gewesen, aber keine solche, um deren Mangels willen spätere Zeiten verarmt wären. Wir haben, was nöthig ist, und noch viel mehr in dem geschriebenen, klaren Wort der Apostel; auch ist der Geist der Weißagung und Auslegung nicht ferne von seiner Kirche, sondern Er hat in achtzehnhundertjähriger Uebung ihr geübte Sinne verliehen, aus dem Worte zu erkennen, zu entnehmen und anzuwenden, was allen allezeit nöthig ist.

 Uebrigens dürfte die Tradition gleich nöthig sein, sie wäre damit doch nicht gewonnen. – Schon in den frühesten Zeiten widersprachen sich sehr ehrwürdige Traditionen, wie man des nicht blos ein vereinzeltes Beispiel aufzeigen könnte. Wie viel mehr mußten spätere Zeiten alle Gewisheit der Traditionen verlieren. Man beruft sich nun schon