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 Nehmen wir ihre Unterscheidungslehren, suchen wir sie in den Schriften des Altertums; so finden wir, daß sie nicht immer, nicht überall, nicht von allen gelehrt wurden. Es läßt sich von einer jeden römischen Unterscheidungslehre der Zeitpunkt nachweisen, wo sie zuerst gelehrt worden ist. Es läßt sich nachweisen, daß frühere römische Bischöfe anderes lehrten, als die jetzigen römischen Bischöfe lehren und bekennen. Es läßt sich beweisen, daß nicht auf einem, am wenigsten auf dem römischen Bischofsstuhle eine und dieselbe Lehre in unveränderter Dauer gelehrt und bekannt wurde. Auch läßt sich beweisen, daß die jetzige römische Lehre keine Entwickelung aus der früheren sein könne; denn die jetzige widerspricht der früheren, Widersprüche aber sind nicht Entwicklungsperioden einer und derselben Wahrheit. Drum möge es uns nur mit dem Altertume beßer gelingen, als den Römern; sonst spricht am Ende das Altertum für keinen. Den Spruch des Vincentius von Lerin können wir nun freilich für uns so wenig, wie für die Römer anführen, so wie er lautet. Er gibt keinen Sinn, wenn er nicht der Schrift unterthänig gemacht wird. Denn seinem Wortlaute gemäß gäbe es jeden Falls gar keine wahre Kirche. Deute man ihn immerhin im Gegensatz zu den Ketzern, ein semper, ein ubique, ein omnes kommt doch nicht zu Stande, wenn man nicht das „alle“ von allen denen versteht, welche aus dem klaren Worte Gottes ihren Glauben nahmen oder nach demselben berichtigten. In diesem Sinne aber haben wir den Spruch nicht zu fürchten, wenn überhaupt ein menschliches Decretum in so ernsten Betracht zu ziehen ist.

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 So weit irgend eine römische Unterscheidungslehre ins Altertum zurückgeführt werden kann, so weit, ja viel weiter können wir unsre Unterscheidungslehren zurückführen. Zwar läßt sich nicht läugnen, daß sich Romanisirendes hie und da bei den Vätern finde; aber es finden sich auch Widersprüche, – und gleiches Glück im Beweis aus den Vätern, wie die Römer haben, möchten auch wir erringen können. Jedoch darüber kann man streiten – und völlig competent zu urtheilen, ist in diesem Stücke die Sache so weniger, daß man bedauern müßte, wenn es keine Art und Weise der Entscheidung gäbe, welche auch vor den