Seite:Wilhelm Löhe - Ein Conferenzvortrag in Betreff der Rosenmonate heiliger Frauen.pdf/15

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wirklich hat. Es ist überhaupt mit der Historie, der menschlichen Geschichtsschreibung, so eine Sache. Man legt auf Augen- und Ohrenzeugnis, auf Berichte der Gleichzeitigen, auf Acten und Documente einen so großen Werth, und man muß ja wohl zugestehen, daß man immerhin für historische Dinge darauf sollte den größten Werth legen können. Dennoch aber, wie oft muß man über das Augen- und Ohrenzeugnis auch wohlwollender Menschen erstaunen; wie wenig verstehen oft die Zeitgenoßen und Mitlebenden gerade dasjenige, was der Herr der Geschichte und der Geist der Zukunft unter ihnen bildet und vorbereitet; wie ungründlich und unwahr sind oft private Berichte und öffentliche Acten; wie wenig Verlaß gewährt oft die ganze Darstellung einer Begebenheit oder die Auffaßung einer Persönlichkeit: wie viel Staub und Dunkel, wie wenig Licht und Wahrheit ist oft in dem geltenden Urtheil des Tages: wie ganz anders wird dermaleins im Lichte der Ewigkeit, im Ganzen, besonders aber im Einzelnen der Weg Gottes in der Geschichte sich zeigen; wie werden wir enttäuscht werden, wenn uns jenseits die Sonne der Wahrheit aufgeht! Ich bin ein großer Freund geschichtlicher Studien und schätze sie neben dem Studium der heiligen Schrift am höchsten. Ich weiß, wie viel gerade auf diesem Gebiete unser Zeitalter geleistet hat und täglich leistet, rühme es und freue mich darüber von Herzen; es ist mir aber auch klar, und zwar gerade auf dem Wege des Lesens und Studierens klar geworden, daß sich in der Geschichtsschreibung neben den Vorzügen auch die Mängel