Seite:Wilhelm Löhe - Ein Conferenzvortrag in Betreff der Rosenmonate heiliger Frauen.pdf/16

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einer jeden Zeit und eines jeden Geschichtsschreibers am allermeisten zeigen und daß die Unvollkommenheit und die Sünde der Menschen den größten Einfluß auf die geschichtliche Auffaßung gehabt hat und noch haben. Die pragmatische, gewißermaßen teleologische Darstellung der Geschichte und die historische Kunst, welche ich dennoch selbst unter den irdischen Dingen sehr hoch anschlage, geben dem jeweiligen religiösen, sittlichen, politischen Standpunkt eine so große Macht und Weitschaft, daß man vollkommen berechtigt ist, dem Leser historischer Schriften ein „Trau, schau, wem“ zuzurufen.

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 In der ersten Zeit unserer lutherischen Kirche war man von den Sünden der modernen Kritik allerdings fern. Wenn meine Gegner die Art und Weise kennen würden, wie damals Heiligengeschichten behandelt wurden, würden sie gewiß nicht sagen dürfen, daß ich aus der Väter Art geschlagen sei: Luther und die Seinen haben die Nachrichten früherer Zeiten im Allgemeinen gläubiger angesehen und behandelt, als ich, der ich ein Kind des 19.&nbap;Jahrhunderts und darum auch ein Erbe und Theilhaber des gleichen kritischen Unglaubens bin. Doch das nur nebenbei, zurück zum Faden: ich wollte sagen, nicht der kritische Unglaube der gegenwärtigen Zeit sei bei den Protestanten der ersten Zeit zu finden; man findet ihn eben so wenig, als die historische Kunst unserer Tage; dagegen aber findet man Leidenschaft genug, und wo die Leidenschaft nicht das Auge blendete, sah man dennoch oft nicht hell und klar, wenn es sich um historische Zustände handelte, die von denen der Reformationszeit