Seite:Wilhelm Löhe - Ein Conferenzvortrag in Betreff der Rosenmonate heiliger Frauen.pdf/31

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Urtheil nicht reif, so lange es nicht konfessionelle Festigkeit mit gütiger Rücksicht und Barmherzigkeit vereint, und so lange es den Menschen die Macht und Freiheit nimmt, sich ohne Gefahr der Seelen der alten Zeit zu freuen. Es hat in der lutherischen Kirche allezeit Menschen gegeben, welche denselben Sinn gehabt haben wie ich, wenn sie auch nicht in jeder Einzelheit mit uns überein treffen. Ich habe schon früher einmal deshalb an Philipp Nicolai’s Buch vom Reiche Gottes erinnert, ich thue es wieder und freue mich seiner und anderer. Ich kann mich in Heiden schicken und das natürlich Gute an ihnen bewundern. Ich freue mich am meisten der Glaubensgenossenschaft und der Kinder meines Volkes. Ich kann aber auch das Gute und Große an den Christen der alten Zeit finden, und laße mich nicht ihre dunkle Lehre, wohl aber ihre Andacht, ihren Glaubensmuth, ihre brünstige Liebe, ihr aufopfernd christliches Leben nach bestem Wißen und Gewißen, zur Nachfolge reizen.

.

 Wenn ich nun auch nicht hoffen darf, mit dieser meiner Aussprache meine Gegner zu versöhnen, so kann man doch sehen, daß ich den Unterschied zwischen mir und ihnen in dem historischen und kirchlichen Urtheil finde. Ich will aber auch noch ein drittes zugestehen: es ist zwischen uns ein Unterschied im ethischen Urtheil. Ganz unbedingt unterschreibe ich wie meine Gegner den Satz, daß wir ohne alle Werke allein im Glauben die hohe Gabe Gottes, die ewige Seligkeit, empfangen können. So habe ich geglaubt und gelehrt, so glaube und lehre ich, so werde ich mit des guten Geistes