Seite:Wilhelm Löhe - Ein Conferenzvortrag in Betreff der Rosenmonate heiliger Frauen.pdf/33

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

da die wißenschaftlichen Bücher namentlich der neuen Zeit? Seelsorge ohne Casuistik ist eine Unmöglichkeit: alles Leben ist Casus; kaum zwei Fälle, die ein Seelsorger in gleicher Weise bescheiden dürfte. Wie verlaßen aber vom Rathe aller ethischen Schriftsteller sind wir armen Gewißensräthe des Volks so gar oft! Hätten wir nicht die alten lutherischen Casuisten, die mancher Thor sammt den jesuitischen über Bord geworfen hat, wir hätten gar keine Handleitung. Was gäbe es da zu klagen, zu desiderieren! – Hieher gehört denn auch insonderheit das Gebiet der christlichen Freiheit. Dies Gebiet hat zwei Provinzen, eine zur Rechten und eine zur Linken. Oder ist es nicht wahr? Kann unter der Menge der Dinge, die erst durch das inwendige Leben des Menschen recht oder unrecht werden, nicht verschiedenes recht sein? Soll einer die Freiheit haben, dieser Welt zu brauchen, und nicht eben so wohl die Freiheit, sie nicht zu brauchen, je nachdem es in seinem Falle das rechte ist? Darf ich einseitig den einen loben, weil etwa mein wißenschaftlicher Verstand seinen Weg für richtiger erkennt, für angemeßener dem christlichen Principe? Darf ich mein abstraktes Denken in allen Fällen so ins Leben mengen, daß nicht Zeit noch Umstände mir Erlaubnis geben, dem Schluße zu entrinnen, den der Mann der Wißenschaft macht? Die alle Tage in den Fragen sind, alle Tage entscheiden sollen, die wißen wohl, wie wenig das angeht. Wer die Menschen retten will, der darf nicht einseitig dem Verstande folgen, der muß auf dem Gebiete der Freiheit den Weg zur Rechten wie den zur Linken frei und